NVH

NVH-Anforderungen von elektrischen Antriebseinheiten im Fahrzeuginneren

23. Oktober 2019 | Engineering Service

Die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Reduktion von Emissionen und Kraftstoffverbrauch veranlassen OEMs dazu, innovative Antriebsstrang- und Fahrzeugtechnologien zu entwickeln. Neben neuen Technologien für klassische Verbrennungsmotoren gewinnt das Thema der Elektrifizierung immer mehr an Bedeutung. Daraus ergibt sich zugleich ein Bedarf nach Methoden zur Bewertung des NVH-Verhaltens von elektrischen Antriebseinheiten. Solche Einheiten erzeugen deutlich weniger Geräusche und Vibrationen als Verbrennungsmotoren. Die Methoden, die zur NVH-Bewertung und Aufstellung entsprechender Zielvorgaben für Verbrennungsmotoren zum Einsatz kommen, reichen demnach für Elektromotoren nicht aus. Während es bei der NVH-Entwicklung für Verbrennungsmotoren darum geht, die Anregung des Motors zu reduzieren, steht bei der NVH-Optimierung von elektrischen Antriebseinheiten die Eliminierung potenziell störender Geräusche angesichts eines sich stetig verändernden bzw. fehlenden Maskierungsgeräusches im Vordergrund. Zum Beispiel ergibt sich ein geringeres Hintergrundgeräusch zur Maskierung tonaler Störgeräusche durch das Fehlen eines laufenden Verbrennungsmotors.

Welche Erwartungen die Fahrzeuginsassen an die Geräuschkulisse mit konventionellen Verbrennungsmotor angetriebenen Fahrzeug haben, d. h. an die „Präsenz des Antriebsstrangs“, hängt stark von der Fahrzeugklasse und der Zielgruppe ab: Während bei Luxusfahrzeugen eine möglichst geräuscharme Fahrgastzelle angestrebt wird, erwarten Insassen von Sportwagen, dass die Leistung des Antriebsstrangs auch akustisch wahrnehmbar ist (besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Erzeugung des gewünschten „Markencharakters“ gewidmet). Im Gegensatz dazu werden die typischen tonalen Geräusche von elektrischen Antriebseinheiten gemeinhin als störend empfunden. Ziel ist es daher, den wahrnehmbaren Eintrag dieser Anteile im Fahrzeug so weit wie möglich zu verringern. Dies ist keine einfache Aufgabe, da Elektrofahrzeuge insgesamt ein geringeres Geräuschniveau zum Verdecken („Maskieren“) dieser tonalen Geräuschanteile aufweisen, als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. In Abbildung 1 zeigen FEV Streubänder den Unterschied zwischen konventionell und elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Die geringeren Gesamtschallpegel in Elektrofahrzeugen (EV), insbesondere bei niedrigen bis mittleren Geschwindigkeiten, sind deutlich zu erkennen.

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1: Bewertung von Geräuschen im Fahrzeuginneren von Elektrofahrzeugen

Zur Vorhersage der Wahrnehmbarkeit von tonalen Geräuschanteilen im Fahrzeug wird eine sogenannte Maskierungsbandanalyse angewendet. Wie in der Abbildung unten zu sehen, wird dabei der Ordnungspegel mit dem Pegel der benachbarten Terz verglichen, um festzustellen, wie viel Geräusch zur Maskierung des tonalen Geräuschs zur Verfügung steht. Wenn der Ordnungspegel (des „Heul“-Geräuschs) im Vergleich zu den entsprechenden Terzband-Geräuschpegeln hoch ist, so deutet dies darauf hin, dass das Hintergrundgeräusch zu gering ist, um die Ordnung zu maskieren. Die Folge ist ein wahrnehmbares und damit subjektiv störendes „Heulen“.

Des Weiteren ist eine Maskierungsfläche dargestellt, die den Maskierungsgehalt für verschiedene Ordnungen im Betriebsbereich eines Beispielfahrzeugs abbildet. Bei höheren Fahrzeuggeschwindigkeiten nehmen die Windgeräusche zu, wodurch der Maskierungsgehalt steigt und sich folglich das wahrgenommene Heulen reduziert.

Ursachenanalyse und Abhilfe-Massnahmen für NVH-Probleme

Der Trend zur Elektrifizierung und damit zusammenhängenden Technologien stellt die NVH-Entwicklung vor neue Herausforderungen. Neben dem Ziel der Minimierung der tonalen Geräuschanteile im Fahrzeuginneren ergeben sich mehrere mögliche NVH-Probleme im Zusammenhang mit transienten Instabilitäten (z. B. Getrieberasseln oder andere Triebstrangprobleme). Um diese Probleme zu lösen, setzt FEV auf einen strukturierten Ansatz, der auf umfassender Erfahrung mit der 8D-Analyse und der statistischen Versuchsplanung (Design of Experiments, DoE) beruht. Im Rahmen der Ursachenanalyse (root-cause analysis) nutzt FEV verschiedene dem Branchenstandard entsprechende Methoden (z. B. Ishikawa-Diagramme) sowie von FEV entwickelte Werkzeuge und Prozesse. Die FEV Fahrzeuginnengeräuschsimulation (Vehicle Interior Noise Simulation, VINS) ist ein Beispiel für eine spezielle Methodik, die die Ursachenanalyse bei komplexen Geräuschuntersuchungen wirksam unterstützen kann. Der VINS-Prozess umfasst eine einzigartige Zeitbereichsanalyse der Übertragungspfade, die Aufschluss über die Geräuschquellen und Übertragungspfade gibt, welche die Geräuschqualität unter stationären und transienten Bedingungen beeinflussen. Alle im Fahrzeuginneren festgestellten Geräuschauffälligkeiten können so heruntergebrochen werden, dass die individuellen Anteile in den einzelnen Körperschall- und Luftschall-Übertragungspfaden erkennbar werden. Die kritischen Schallübertragungspfade können anschließend genauer analysiert werden, um mögliche Ansatzpunkte für Optimierungsmaßnahmen zu identifizieren (z. B. Lagerisolation, lokale Steifigkeit der Anbindungspunkte, vibroakustische Empfindlichkeit, akustische Dämpfung). Da die Ergebnisse im Zeitbereich erzeugt werden, können weiterführende Analysemethoden oder subjektive Beurteilungen (Höruntersuchungen) eingesetzt werden, um das gesamte simulierte Geräusch oder die Beiträge der einzelnen Pfade zu bewerten. In Abbildung 2 ist die Einbindung der VINS-Methodik in einen strukturierten 8D-Ursachenanalyseprozess schematisch dargestellt.

2: Einbindung der Fahrzeuginnengeräuschsimulation in den 8D-Prozess der Ursachenanalyse

NVH-Bewertungen von elektrischen Antriebseinheiten auf Komponentenebene

FEV hat Standardmessverfahren zur Quantifizierung des abgestrahlten Schalls, der Schallleistung und der Vibration auf Komponentenebene entwickelt, um die Bewertung der Quellenbeiträge zu erleichtern und so das Thema NVH bei Elektrofahrzeugen voranzubringen. Analog der Vermessung von Verbrennungsmotoren werden die Gesamtpegel des von elektrischen Antriebseinheiten abgestrahlten Schalls üblicherweise auf Grundlage der durchschnittlichen Schallabstrahlung bewertet, die in einem Abstand von 1 m zur elektrischen Antriebseinheit gemessen wird (beispielsweise entsprechend der Norm SAE J1074). Zusätzlich dazu ist es bei Elektromotoren und elektrischen Antriebseinheiten üblich, diese Bewertungen durch die Messung der Schallleistung in einer halbkugel- oder quaderförmigen Anordnung (z. B. entsprechend den Normen ISO 3744 oder 3745) zu ergänzen. Die Körperschallanregungen können mittels Messung der Vibration an den Lagerungspunkten der elektrischen Antriebseinheit (d. h. den Verbindungspunkten zwischen elektrischer Antriebseinheit und Fahrzeug) bewertet werden.

3: NVH-Bewertung von Elektrofahrzeugen auf Komponentenebene

Der Vergleich der gemittelten Schalldruckpegel von Verbrennungsmotoren und elektrischen Antriebseinheiten in der nachfolgenden Abbildung zeigt, dass die von elektrischen Antriebseinheiten abgestrahlten Schalldruckpegel signifikant geringer sind. Das bedeutet, dass die Bewertung einzelner Ordnungen, angeregt von Elektromotor und/oder den Zahneingriffsfrequenzen des Getriebes, für die Quantifizierung der NVH-Eigenschaften von elektrischen Antriebseinheiten wichtiger ist als der Vergleich des Gesamtschallpegels. Nachfolgend ist ein Vergleich zwischen Ordnungs- und Gesamtpegeln des abgestrahlten Schalldruckpegels dargestellt. Diesem Vergleich können Hinweise entnommen werden, in wie weit die Ordnungen den Gesamtpegel beeinflussen. Eine zusätzliche Untersuchung des Frequenzgehalts der Komponentenschallpegel kann Informationen über die Wahrnehmbarkeit dieses Geräusch in einer Prüfstandsumgebung liefern. Eine reine Analyse der Daten auf Komponentenebene gibt jedoch wenig Aufschluss für den Kunden über die Wahrnehmbarkeit dieser Ordnungen im Fahrzeug. Hierzu ist eine fahrzeugbezogene Datenanalyse wie nachfolgend beschrieben erforderlich.

Fahrzeugbezogene Entwicklung von NVH-Zielwerten für elektrische Antriebseinheiten

4: dBVINS-Verfahren für die Innengeräuschsimulation unter Verwendung eines virtuellen FEV-Fahrzeugs

Aufbauend auf der VINS-Methodik hat FEV mit der sogenannten dBVINS ein zusätzliches Verfahren für die Vorhersage des Innengeräuschs entwickelt. Anders als VINS (wo fahrzeugspezifische Schallübertragungsfunktionen zum Einsatz kommen) prognostiziert das dBVINS-Verfahren das Innengeräusch anhand einer Kombination aus Quellendaten (Luft- und Körperschallmessungen vom Akustikprüfstand) und standardisierten Fahrzeugübertragungsfunktionen. Diese „standardisierten“ Schallübertragungsfunktionen beruhen auf gemittelten Werten, die aus der umfangreichen Datenbank mit von FEV untersuchten Fahrzeugen abgeleitet wurden. Durch die Standardisierung der Übertragungsfunktionen können die für das Innengeräusch relevanten NVH-Eigenschaften einer bestimmten Komponente (z. B. der elektrischen Antriebseinheit) unter Heranziehung von Komponentenprüfungen an einem NVH-Prüfstand beurteilt werden. So können die Innengeräusche, die bei verschiedenen elektrischen Antriebseinheiten oder bei verschiedenen Ausführungen einer in der Entwicklung befindlichen elektrischen Antriebseinheit zu erwarten sind, direkt miteinander vergleichen werden. Speziell für die Entwicklung von elektrischen Antriebseinheiten lässt sich mit diesem Verfahren der jeweilige Ordnungsgehalt im Fahrzeuginneren vorhersagen. Ein Vergleich dieses Ordnungsgehalts mit den oben genannten Maskierungsgeräuschpegeln wiederum gibt Aufschluss über die potenzielle Wahrnehmbarkeit von tonalen Geräuschen durch den Kunden. Unter Zuhilfenahme eines solchen fahrzeugbezogenen Ansatzes können geeignete Konstruktionsänderungen, beruhend auf CAE (z. B. Mehrkörpersimulation (MKS)/Finite-Elemente-Analyse (FEA) und prüfungsbasierten Ansätzen (z. B. Kalibrierungsänderungen, Entwicklung von NVH-Gegenmaßnahmen), eingesetzt werden, um die NVH-Eigenschaften der elektrischen Antriebseinheit auf Komponentenebene zu optimieren.

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