HYBex3 Konzeptfahrzeug

Vorausschauende Funktionen im HYBex3 Konzeptfahrzeug

30. Januar 2020 | Engineering Service

Die Hybridisierung von Antriebssträngen ist ein wichtiger Schritt zu einer effizienten und sauberen Mobilität. Insbesondere die Möglichkeit, den Betrieb des Verbrennungsmotors in Bereiche mit höherem Wirkungsgrad zu verlagern und rein elektrische Fahrmodi darzustellen, ist einer der Hauptvorteile von Hybridantrieben. Diese Lastpunktverschiebung kann auf der Grundlage von Streckendaten, die die zu erwartende Fahrzeuggeschwindigkeit und die Fahrbahnsteigung beinhalten, weiter optimiert werden und gilt als Stand der Technik in modernen Hybridantrieben.

In Kombination mit der Entwicklung vorausschauender und automatisierter Fahrfunktionen können weitere Potentiale erschlossen werden. Der Schlüsselfaktor für eine tatsächliche Reduzierung des Energiebedarfs unter realen Fahrbedingungen ist eine genaue Vorhersage der zukünftigen Entwicklung einer Verkehrssituation. Diese Vorhersage kann auf einer Vielzahl möglicher Quellen wie Sensordaten, hochauflösenden Karten und Fahrzeugkommunikation basieren, wobei alle Daten zu einem umfassenden Umgebungsmodell verschmolzen werden.

Basierend auf den Informationen aus diesem Modell können die Fahrzeuglängsführung und die Antriebsstrangsteuerung optimiert werden. FEV hat in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen der RWTH University, Aachen, eine Funktionsstruktur entwickelt, die in der Lage ist, eine Vielzahl von möglichen Datenquellen zu nutzen. Mit diesen wird ein Lösungsraum für eine prädiktive Geschwindigkeitsprofiloptimierung generiert. Dieses Geschwindigkeitsprofil kann dann verwendet werden, um die Drehmomentaufteilung zwischen den Hybridkomponenten optimiert zu betrieben.

Die Funktionsstruktur wurde in einem gemeinsam mit DENSO aufgebauten Hybrid-Prototypenfahrzeug integriert. Ein robuster, echtzeitfähiger modellprädiktiver Regelungsalgorithmus wird verwendet, um die Längsführung des Fahrzeugs zu optimieren.

Das HYBex3 Konzeptfahrzeug

Das HYBex3 („HYBrid power exchange 3 modes“) Fahrzeug wurde entwickelt, um die Einflüsse eines kostengünstigen DHT-Getriebekonzepts im Hinblick auf die Fahrbarkeit des Fahrzeugs zu ermitteln und unter realen Bedingungen zu testen. Die Entwicklung erfolgte gemeinsam mit DENSO AUTOMOTIVE Germany. Das Basisfahrzeug ist ein MINI Cooper mit einem turboaufgeladenen 100 kW Dreizylinder-Verbrennungsmotor. Das Seriengetriebe wurde durch das zu untersuchende speziell für den Anwendungsfall entwickelt Hybridgetriebe ersetzt.

Die Antriebsstrangtopologie entspricht einem Mischhybrid mit zwei Elektromotoren (EM) in einer P2/P3-Anordnung. Die P2-Maschine befindet sich zwischen der elektrohydraulisch angetriebenen Kupplung und dem zweistufigen Stirnradgetriebe. Die Synchro-Elemente werden ebenfalls elektrohydraulisch aktuiert. Die P3-Maschine ist am Ausgang des Getriebes positioniert und hat somit ein festes Übersetzungsverhältnis zum Rad.

Mit diesem DHT-Getriebe sind verschiedenste Betriebsmodi darstellbar. Für den rein elektrischen Fahrbetrieb wird der Verbrennungsmotor gestoppt und die Kupplung geöffnet. Der Elektromotor P2 kann somit in beiden Übersetzungsstufen betrieben werden. Dies ermöglicht neben einem hohen Anfahrmoment im ersten Gang eine maximale Fahrzeuggeschwindigkeit von 140 km/h im zweiten Gang.

Im Hybridbetrieb ist es möglich, entweder seriell oder parallel zu fahren. Im Parallelbetrieb ist einer der beiden Gangsätze eingelegt. Im seriellen Betriebsmodus wird das Getriebe in den Leerlauf geschaltet. Der Verbrennungsmotor ist dann ausschließlich mit dem Elektromotor P2 verbunden und der Elektromotor P3 treibt die Räder an. Alle Gangwechsel sind vollständig elektrisch synchronisiert, so dass die Reibkupplung auch im Hybridbetrieb geschlossen bleiben kann. Der serielle Betrieb im niedrigen Geschwindigkeitsbereich und ein paralleler Betrieb bei höheren Geschwindigkeiten ermöglicht eine deutliche Steigerung des Systemwirkungsgrads. Die Betriebsstrategie sieht vor, dass der Verbrennungsmotor mit sehr geringer Dynamik betrieben wird und schnelle Lastwechsel durch den elektrischen Pfad umgesetzt werden. Die Übersetzungsverhältnisse ermöglichen eine deutliche Reduzierung der Drehzahl des Verbrennungsmotors, ohne die Gesamtdynamik des Antriebsstrangs zu beeinträchtigen. Die Betriebsstrategie wurde mit einem Design-of-Experiments optimiert. Zu diesem Zweck wurden die Parameter der Stopp-Start-Strategie des Verbrennungsmotors gleichzeitig mit den Parametern der Batterielade-Strategie optimiert. Für die endgültige Parametrierung wurde ein Kompromiss zwischen der Auslegung für unterschiedliche Fahrzyklen gewählt.

Die Aufteilung der Drehmomente der beiden Elektromotoren sowohl im Parallelbetrieb als auch im vollelektrischen Fahrbetrieb wird durch eine von FEV patentierte Online-Optimierung bestimmt. Der Suchalgorithmus variiert die Drehmomentverteilung, bis der energetisch optimale Fall gefunden ist. Dabei werden sowohl die Batterie-
grenzen als auch die Leistungsgrenzen der Elektromotoren für die aktuelle Situation berücksichtigt.

Prädiktive Funktionen

Die entwickelte Funktionsstruktur zur vorausschauenden Längsdynamikregelung ist so konzipiert, dass eine Vielzahl von Datenquellen, Optimierungsroutinen und Antriebsstranganordnungen in dieser dargestellt werden kann.

Der erste Schritt ist eine Aggregation und Fusion der verfügbaren Daten zu einem Umgebungsmodell, gefolgt von einer Prädiktion der Verkehrssituation. Diese ermöglicht eine Optimierung des Geschwindigkeitsprofils. Auf Basis dessen erfolgt eine Beschleunigungsregelung des Fahrzeuges. Das geplante Geschwindigkeitsprofil kann ebenfalls genutzt werden, um die Ladezustandsstrategie anzupassen. Ist die gewünschte Ladeleistung bestimmt, wird auf Basis dieser und des Radmomentenwunsches die Momentenaufteilung auf die Antriebsstrangkomponenten durchgeführt.

Zur genauen Vorhersage der aktuellen Verkehrssituation ist die Aggregation aller verfügbaren Daten erforderlich. Dies reicht von Sensoren wie RADAR- oder
LIDAR-Sensoren oder optischen Kameras, die Verkehrsteilnehmer mit Hilfe von Bilderkennungstechniken erkennen können. In der Regel liefern diese Sensoren den Typ (Pkw, Lkw, Fußgänger etc.), die relativen Positionen und eventuell die Relativgeschwindigkeit der erfassten Objekte.

Weitere Informationen können aus On-Board-Navigationssystemen gewonnen werden, die Geschwindigkeitsbegrenzungen, Straßenneigung und -krümmung sowie eventuell Kreuzungsdaten für den wahrscheinlichsten Pfad des Fahrzeugs über einen sogenannten „elektronischen Horizont“ liefern. Ist das Navigationssystem mit dem Internet verbunden, können auch Daten über durchschnittliche Geschwindigkeiten entlang der geplanten Route und Staus bereitgestellt werden.

Zukünftig können durch die Vernetzung von Fahrzeugen mittels 5G oder ETSI ITS G5 weitere Informationen gewonnen werden. Diese so genannte Vehicle-to-Every-
thing (V2X)-Kommunikation soll unter anderem die Positionen, Richtung und Geschwindigkeiten anderer Fahrzeuge sowie die Anordnung von Kreuzungen und den Status von Lichtsignalanlagen beinhalten. Die Fahrzeugkommunikation kann daher Daten bereitstellen, die über den von On-Board-Sensoren erfassbaren Horizont hinausgehen.

Da dasselbe Objekt durch verschiedene Datenquellen somit mehrfach detektiert werden kann, muss die Datenaggregation auch eine Funktionalität zur Datenfusion beinhalten. Dies ist besonders vorteilhaft für Hardware-Setups mit verschiedenen Arten von Sensoren, z. B. einem RADAR- und Kamerasensor. Der RADAR-Sensor kann den Abstand und die relative Position zu einem vorausfahrenden Fahrzeug messen, er kann jedoch nicht die seitliche Position des Fahrzeugs in Bezug auf die Straßenmarkierungen bestimmen. Der Kamerasensor ermöglicht nur Schätzungen der Relativgeschwindigkeit und der Entfernung, aber er ist in der Lage exakt zu erfassen, ob sich ein Objekt auf der gleichen Spur wie das betrachtete Fahrzeug befindet. Nach der Fusion mehrerer Datenquellen wird eine aggregierte Objektliste erstellt, die nur gültige und relevante Daten aller erfassten Objekte enthält und ein entsprechendes Umgebungsmodell generiert.

Bevor eine Optimierung der Fahrzeugtrajektorie durchgeführt werden kann, muss eine Vorhersage über die Entwicklung der aktuellen Situation gemacht werden. Diese Vorhersage basiert auf den relevanten Objekten, die das Umgebungsmodell bereitstellt. In einem ersten Schritt wird die Geschwindigkeitsbegrenzung entlang des Prädiktionshorizontes bestimmt. Basierend darauf und auf dem aktuellen Zustand detektierter, vorausfahrender Fahrzeuge wird eine Prädiktion für die Geschwindigkeits- und Positionstrajektorie dieser Fahrzeuge vorhergesagt.

Auf dieser Basis wird ein sogenannter Lösungsraum aufgespannt, in dem sich der nachgeschaltete Optimierungsalgorithmus bewegen kann. Die von FEV und dem Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen entwickelte Funktionsstruktur ermöglicht die Implementierung unterschiedlichster Algorithmen hierfür. Je nach Anforderung können einfache regelbasierte Ansätze, aber auch Methoden der modellprädiktiven Regelung oder der Diskreten Dynamischen Programmierung dargestellt werden.

Anwendung im Fahrzeug

Zur Erprobung der Funktionsstruktur wurde eine echtzeitfähige modellprädiktive Regelung (MPR) auf dem Rapid Prototyping Steuergerät des HYBex3 Konzeptfahrzeugs implementiert und verschiedene Testszenarien umgesetzt. In einer ersten Demonstration wurde die Funktionalität und Echtzeitfähigkeit dieser für eine vorausschauende Anpassung des Rekuperationsverhaltens des Konzeptfahrzeuges nachgewiesen. Durch eine effiziente Implementierung der MPR mittels des Tools „qpOASES“ kann eine Optimierung des Geschwindigkeitsverlaufes über einen Horizont von zehn Sekunden innerhalb von weniger als 100 µs durchgeführt werden.

Zukünftig kann die modulare Konzeption der Funktionsstruktur genutzt werden, um den Vorausschauhorizont des Fahrzeuges beispielsweise um vorausliegende Ampeln zu erweitern oder vorausschauende, automatisierte Fahrfunktionen wie Predictive Cruise Control (PCC) darzustellen.

[addtoany]