
"Mark it zero" - Zero Emission-Strategien von synthetischen Kraftstoffen bis E-Antrieb
FEV- und RWTH-Experten diskutieren zukünftige Antriebskonzepte mit Blick auf CO2-Nullemission
Die Automobilindustrie befindet sich derzeit in einem der größten Umbrüche ihrer Geschichte. Die neuen Herausforderungen rund um vernetzte und automatisierte Fahrzeuge stellen Entwickler ebenso vor große Aufgaben wie die Wahl des richtigen, bedarfsgerechten Antriebs, der einen minimalen Schadstoffausstoß erzielen soll. Uneins sind die Experten weiterhin darüber, ob es einen einzuschlagenden Königsweg gibt und welcher dies ist. Mögliche Technologien umfassen Hybridisierung, Teil- oder vollständige Elektrifizierung oder auch die Brennstoffzelle. Fakt ist, die Marktdurchdringung der einzelnen Technologien bleibt – trotz staatlicher Förderprogramme – weiter hinter den Erwartungen zurück. Auch die entsprechende Infrastruktur wächst nur verhältnismäßig langsam. Eher anachronistisch wirkt in diesen Zeiten der Verweis auf weitere Potenziale des Verbrennungsmotors und erscheint der Öffentlichkeit schnell als Standpunkt der „ewig Gestrigen“, die den Umschwung in Richtung alternative Antriebsformen nicht – oder nur unzureichend – geschafft haben. Tatsächlich jedoch bergen synthetische Kraftstoffe ein enormes Potenzial, um eine nachhaltige und schadstoffarme Mobilität zu gewährleisten. Als Engineering-Dienstleister mit starkem Fokus auf Antriebsentwicklung bietet FEV seinen Kunden nicht nur die Entwicklung fortschrittlicher Antriebslösungen, sondern steht ihnen auch bei der Wahl des Antriebskonzeptes beratend zur Seite. Mit SPECTRUM sprachen Experten von FEV und RWTH über E-Mobilität, Brennstoffzellenantrieb und synthetische Kraftstoffe.
>> BEI DEN NEUEN VERFAHREN POWER-TO-GAS UND POWER-TO-LIQUID, DIE CO2 ALS KOHLENSTOFFQUELLE NUTZEN, KÖNNEN CO2-EINSPARUNGEN VON DEUTLICH ÜBER 90% REALISIERT WERDEN
Herr Ogrzewalla: Die Öffentlichkeit, so scheint es, hat bereits den Abgesang auf den Verbrennungsmotor angestimmt. Sehen Sie als Vice President Electronics & Electrification das Ende einer Ära gekommen? Ogrzewalla: In der Tat steht die Antriebsentwicklung derzeit ganz im Zeichen der Elektrifizierung. In den vergangenen Monaten hat nahezu jeder OEM millionenschwere Entwicklungsprogramme angekündigt. Auch bei uns als Entwicklungs-Dienstleister ist die Elektromobilität seit über einem Jahrzehnt ein fester Bestandteil des Engineering-Geschäfts. Dennoch müssen wir heute konstatieren, dass trotz aller Vorteile die Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen gering ist – ebenso wie die Zuwachsraten. Der Verbrennungsmotor wird uns somit – ob als Teil von Hybridsystemen, Range Extender oder alleiniger Antrieb – noch lange begleiten. Insbesondere im Fernverkehr und im Transportsektor sind derzeit keine alternativen Lösungen denkbar. Wie sieht also eine praktikable Lösung aus Ihrer Sicht aus? Ogrzewalla: Ziel einer ausgewogenen Flottenstrategie muss es sein, bedarfsgerechte Antriebslösungen zu bieten, die eine nachhaltige und saubere Mobilität gewährleisten. Hier verspricht ein Mix aus Elektrifizierung, optimiertem Verbrennungsmotor und synthetischen Kraftstoffen zielführend zu sein: Während E-Fahrzeuge insbesondere für Kurzstrecken und im innerstädtischen Verkehr die lokalen Emissionen senken können, sind synthetische Kraftstoffe in der Lage, den CO2-Ausstoß von Verbrennungsmotoren auf ein Minimum zu reduzieren. Somit stellen sie ein wirksames Mittel dar, um die Emissionen bereits in der Bestandsflotte zu senken und den Anteil erneuerbarer Energien im Mobilitätssektor unmittelbar zu erhöhen. Gepaart mit weiteren Optimierungen der Verbrennungsprozesse lässt sich so eine nachhaltige Senkung der CO2-Emissionen bis hin zur Nullemission erzielen. Herr Heuser, können Sie als Geschäftsführer des Exzellenzclusters „Maßgeschneiderte Kraftstoffe aus Biomasse“ der RWTH Aachen University uns die unterschiedlichen Formen synthetischer Kraftstoffe und deren Herstellung kurz erläutern? Heuser: Der Begriff „Synthetische Kraftstoffe“ kann höchst unterschiedliche Kraftstoffarten bezeichnen. Gebräuchlich ist er für jedweden Kraftstoff, der nicht auf Erdöl-Basis hergestellt wird. Innerhalb dieser Bezeichnung gibt es aber noch grundlegende Unterscheidungen – beispielsweise Biokraftstoffe oder E-Fuels. Herr Adomeit, als Executive Engineer Thermodynamics bei der FEV erforschen Sie auch die alternativen Kraftstoffe. Welche Vorteile ergeben sich aus diesen unterschiedlichen Technologien für den Schadstoffausstoß? Adomeit: Bei den neuen Verfahren Power-to-Gas und Power-to-Liquid, bei denen das CO2 als Kohlenstoffquelle dient, können CO2-Einsparungen von deutlich über 90 Prozent realisiert werden. Jedes Kohlenstoffatom, das als CO2 durch den Auspuff in die Umwelt gelangt, wurde vorher der Atmosphäre entnommen. Ähnlich gut verhält es sich mit Biokraftstoffen der zweiten Generation. Auch hier wird nur Kohlenstoff im Motor verbrannt, der zuvor durch Photosynthese vom atmosphärischen CO2 zu Biomasse umgewandelt wurde. Neben der CO2-Reduktion lassen sich diese Kraftstoffe so formulieren, dass zusätzlich auch die Schadstoffemissionen deutlich abgesenkt werden können, beispielsweise durch Synthetisierung oxygenierter Kraftstoffe, deren Russbildungsneigung ganz erheblich unter der von fossilen Kraftstoffen liegt. Für welche Anwendungen sind synthetische Kraftstoffe besonders wichtig? Heuser: Synthetische Kraftstoffe sind einerseits im PKW-Bereich interessant. Hier liegt der Charme darin, dass sie sich unmittelbar nutzen lassen, entweder in Form einer Zumischung zu konventionellen Kraftstoffen oder – je nach Kraftstoff – auch als Reinstoff und ohne eine große Umrüstung des PKWs. Synthetische Kraftstoffe können hier direkt helfen, die Schadstoffemissionen zu senken und den Anteil erneuerbarer Energien in der Bestandsflotte des Mobilitätssektors unmittelbar zu erhöhen. Eine Zumischung von nur etwa 30 Prozent dieser OMEs in konventionellen Diesel reduziert die Rußemissionen um bis zu 90 Prozent – und das ganz ohne komplizierte Anpassung des Motors. Sie sprechen von Optimierungen bei der Bestandsflotte: Wie weit sind wir denn tatsächlich entfernt von einer mehr oder weniger flächendeckenden Einführung alternativer Kraftstoffe und welches der aufgezeigten Verfahren kristallisiert sich dabei heraus? Heuser: Derzeit gilt die Vorgabe aus der EU, bis 2020 zehn Prozent der im Transportsektor verbrauchten Energie durch alternative Energieträger bereitzustellen. Bis wir aber die sog. E-Fuels, also z.B. die Gruppe der Oxymethylenether, in großem Maße tanken werden, dauert es noch ein paar Jahre. Wir wissen bereits, dass diese Kraftstoffe aus CO2 und erneuerbarem Strom hergestellt werden können, aber um dies großtechnisch zu realisieren, bedarf es noch hoher Investitionen. Damit jedoch investiert wird, müssen die Rahmenbedingungen allen Akteuren klar sein – es muss Planungssicherheit gegeben sein. Adomeit: Ein wichtiger Aspekt für eine zeitnahe Einführung CO2-neutraler Kraftstoffe ist ihre Einbindung in die vorhandenen Infrastrukturen. So können Kraftstoffkomponenten, die den heutigen Kraftstoffen beigemischt werden, die CO2-Emissionen der bestehenden Fahrzeugflotte unmittelbar reduzieren. Wir untersuchen hier heute Kombinationen von regenerativen Kraftstoffen, die im Blend den marktüblichen Kraftstoffeigenschaften sehr nahe kommen. Wer genau sollte diese Kraftstoffe markttauglich entwickeln? Adomeit: Bei der Entwicklung ist es enorm wichtig, dass die Mineralölkonzerne und die Automobilhersteller Hand in Hand zusammenarbeiten. Verbrennungsmotoren und Kraftstoffe sind als zwei Seiten einer Medaille zu sehen, die sich gegenseitig bedingen und voneinander abhängig sind. Motoren werden mit Blick auf die verwendeten Kraftstoffe entwickelt und ebenso müssen neue Kraftstoffe mit Blick auf die Anforderungen der Umwelt und der Motoren entwickelt werden – insbesondere die Reduzierung der Schadstoffemissionen und des Verbrauchs, aber beispielsweise auch maximale Verbrennungsdrücke, Zünd- oder Kühlungseigenschaften und akustisches Verhalten. Heuser: Wie Herr Dr. Adomeit schon gesagt hat – es wird nicht den einen Entwickler geben. Der Reiz der synthetischen Kraftstoffe liegt darin, dass wir die Eigenschaften gezielt beeinflussen und somit tatsächlich bessere Kraftstoffe entwickeln können. Damit können wir in einem zweiten Schritt auch die Motoren anpassen, sodass wir auch den Kraftstoffverbrauch und gleichzeitig die Emissionen deutlich senken können. Damit dies gelingt, benötigen wir aber eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Herkömmliche Biokraftstoffe der ersten Generation – beispielsweise Bioethanol oder Biodiesel – werden mehrheitlich durch Fermentation von Saat- und Fruchtzucker zu Ethanol oder die Veresterung von Pflanzenfetten mit (meist fossilem) Methanol gewonnen. Die zweite Generation von Biokraftstoffen nutzt das gesamte Pflanzenmaterial zur Fermentation in Alkohole oder zur Synthese langkettiger Kohlenwasserstoffe mittels des Biomass-to-Liquid-Verfahrens. Hierbei wird das Pflanzenmaterial zuerst unter Sauerstoffmangel zu Synthesegas (CO und H2) umgewandelt und dann durch die Fischer-Tropsch-Synthese zu langkettigen Kohlenwasserstoffen zusammengesetzt. Ähnliche Verfahren werden auch bei synthetischen Kraftstoffen aus Erdgas oder Kohle angewendet.Die sogenannten HVO – vom Englischen Hydrated Vegetable Oils – werden zumeist aus Pflanzenölen gewonnen, wobei auch andere Fette eingesetzt werden können. Unter Zugabe von Wasserstoff werden diese zu paraffinischen Kraftstoffen umgewandelt.
Daneben gibt es noch die neue Technologie Power-to-Liquid beziehungsweise Power-to-Gas. Bei diesen Technologien wird aus erneuerbarem Strom und Wasser durch Elektrolyse Wasserstoff erzeugt. In Verbindung mit CO2 kann daraus Methan hergestellt werden, welches bereits als Kraftstoff für Ottomotoren genutzt wird. Diese Prozesse erlauben aber auch, komplett neue Kraftstoffe zu definieren, beispielsweise die Gruppe der flüssigen Oxymethylenether – kurz OME. Diese sind wie normaler Dieselkraftstoff flüssig und könnten diesem sogar einfach beigemischt werden.
Außerdem sind synthetische Kraftstoffe überall dort von hoher Wichtigkeit, wo es keine Alternativen zu konventionellen flüssigen Kraftstoffen mit hoher Energiedichte gibt. Dies ist insbesondere bei Nutzfahrzeugen, Schiffen oder Flugzeugen der Fall. Auf absehbare Zeit ist die Energiedichte von Batterien den flüssigen Kraftstoffen um Größenordnungen unterlegen. Bei den genannten Beispielen lassen sich die benötigten Energiemengen in Form von Batterien auf Grund des enormen Volumen- und Gewichtsbedarfs gar nicht unterbringen. Mit Hilfe von synthetischen Kraftstoffen ist hier auf Dauer eine saubere und nachhaltige Mobilität möglich.
Stichwort Ökologie: Ist ein E-Antrieb ökologischer als ein klassischer Verbrennungsmotor, der durch alternative Kraftstoffe aufgewertet wird?
Ogrzewalla: Wenn man nur die Kraftstoffherstellung aus erneuerbarer Energie bis zur Umwandlung im Fahrzeug betrachtet, ist ein E-Auto am ökologischsten. Die Wirkungsgrade eines E-Autos sind sehr hoch und die Fahrzeuge fahren emissionsfrei. Im Gegensatz hierzu haben synthetische Kraftstoffe den Nachteil, dass jeder Prozessschritt in der Herstellung den Gesamtwirkungsgrad der Kette verringert. Ein Aspekt, der in der Diskussion oft vernachlässigt wird, ist die Herstellung der Fahrzeuge. Dies ist für eine objektive Analyse aber unabdingbar. Hier hat das Elektroauto Nachteile gegenüber konventionellen Antriebssystemen. Insbesondere die Batterieherstellung ist aufwendig und kostenintensiv; die benötigten Materialien schaffen neue Abhängigkeiten vom Weltmarkt. Sowohl die Gewinnung dieser Materialien als auch das Recycling der Batterien belasten die Umwelt. Wenn man jedoch erneuerbare Energien mit unbegrenzter Verfügbarkeit nutzen kann – zukünftig wird oftmals mehr Strom produziert werden, als man überhaupt nutzen kann – spielt diese Tatsache keine so große Rolle mehr. Hier bieten sich die synthetischen Kraftstoffe als ideale Technologie an, um überschüssigen Strom chemisch zu speichern.
Welche Rolle kann künftig die Brennstoffzelle spielen?
Ogrzewalla: Perspektivisch kann die Brennstoffzelle die Batterietechnologie ergänzen oder gar ersetzen. Die Wasserstoffnutzung in Brennstoffzellen weist minimale CO2-Emissionen auf, da Wasserstoff keinen Kohlenstoff enthält, der zu CO2 umgewandelt würde, und es benötigt die wenigsten Prozessschritte zur Herstellung. Ein entsprechendes Demonstrationsfahrzeug hat die FEV zusammen mit Entwicklungspartnern im Gemeinschaftsprojekt „BREEZE!“ realisiert. Hier haben wir einen Brennstoffzellen-Range-Extender in einen Fiat 500 unserer E-Fahrzeugflotte integriert, um das Reichweitenproblem von E-Fahrzeugen auszumerzen. So erreichen wir eine Reichweite von rund 280 Kilometern. Ein Nachtanken von Wasserstoff wäre innerhalb weniger Minuten erfolgt und die Fahrt kann uneingeschränkt fortgesetzt werden. Allerdings stellt sich bei dieser Technologie die Frage der nötigen Infrastruktur, die sehr komplex und daher sehr teuer ist. Nicht zuletzt hieran sind die Serien- oder Kleinserienlösungen des letzten Jahrzehnts gescheitert. Derzeit entstehen aber wieder mehr und mehr Pilotprojekte, bei denen Linienbusse mit Brennstoffzellen ausgerüstet werden. Der Vorteil eines Linienverkehrs liegt darin, dass kein flächendeckendes Tankstellennetz notwendig ist. Einige wenige Tankstellen in den Depots der Verkehrsunternehmen sind ausreichend, um die Flotte dauerhaft zu versorgen.

Verbesserung des Zielkonflikts zwischen Ruß- und Stickoxidemissionen durch
synthetische Kraftstoffe in mittlerer Teillast (n = 2280 U/min, pmi = 9,4 bar)

Verbesserung des Zielkonflikts zwischen Ruß- und Stickoxidemissionen durch
synthetische Kraftstoffe in mittlerer Teillast (n = 2280 U/min, pmi = 9,4 bar)
Wir haben nun viel über Alternativen zur Elektromobilität gesprochen. Durch die Vielzahl der möglichen Technologien steigen natürlich auch die Entwicklungs-, Infrastruktur- und nicht zuletzt auch Marketing-Kosten enorm an. Warum ist es nicht möglich, sich auf eine Technologie zu fokussieren?
Ogrzewalla: Es gibt einfach derzeit noch keine Patentlösung für emissionsfreie Mobilität. Dafür ist das Nutzerverhalten zu unterschiedlich und die systemischen Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Antriebsformen sind zu verschieden. Aus meiner Sicht ist jedoch die essentielle Aussage, dass bedarfsgerechte Antriebe den Schlüssel zum Erfolg darstellen. Nicht jeder Antrieb kann sinnvoll für jede Zielsetzung eingesetzt werden. Bei E-Fahrzeugen ist eines der größten Kaufhemmnisse weiterhin die Reichweitenangst. Gerade in Deutschland, wo das Auto einen besonderen Stellenwert hat, widerstrebt es den Nutzern, ein Fahrzeug zu besitzen, das nicht alle Eventualitäten abdeckt. Das ist jedoch widersinnig, denn beispielsweise für den innerstädtischen Verkehr benötigt es keinen Verbrennungsmotor. Ein zusätzlicher Verbrennungsmotor würde bei den meisten Fahrten nur als Ballast mitgeführt, was alles andere als effizient ist. Unterschiedliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass bis zu 87 Prozent aller Fahrten durch ein E-Fahrzeug abgedeckt werden können. Für den Erfolg der Elektromobilität braucht es daher ein Ökosystem aus spezifischen Dienstleistungen sowie neuen Geschäftsmodellen und vor allem ein Umdenken der Käufer. Zudem können fortgeschrittene Schnelllade-Technologien zum Erfolg führen, da die Reichweite von Elektroautos für alle Fahrten gewährleistet wird. Bis es soweit ist, werden wir definitiv zusätzlich auf andere Konzepte zurückgreifen müssen. Im Fernverkehr sind sie – wie bereits erwähnt – sogar alternativlos.
