
AUTOMATISIERTES FAHREN ALS MAßNAHME ZUR REDUKTION DES ENERGIEVERBRAUCHS IM REALBETRIEB
FEV berechnet den Einfluss von Fahrstrategien hochautomatisierter Fahrzeuge und anwendungsspezifisch optimierten Antriebssträngen auf den Energieverbrauch
Auch bei stark elektrifizierten oder sogar reinelektrischen Fahrzeugen besteht weiteres Potenzial, den Energieverbrauch im Realbetrieb zu senken. Die Automatisierung erweist sich dabei als eine attraktive Maßnahme. Hierzu hat FEV eine umfangreiche Studie angelegt und Einsparpotenziale für verschiedene Fahrzeugkonzepte berechnet und mögliche Umsetzungsstrategien zusammen mit AImotive beschrieben.
Bereits heute werden unterschiedliche Maßnahmen genutzt, um Verbrauchs- einsparungen im Realbetrieb zu erzielen: So leiten beispielsweise Eco-Fahr-Systeme den Fahrer zu einer ökonomischeren Fahrweise an, oder aktuelle Verkehrs- und Routeninformationen werden genutzt, um die Streckenführung sowie die Betriebsstrategie des Antriebsstrangs zu optimieren.
Der zunehmende Grad der Automatisierung und Vernetzung wird es ermöglichen, den Fahrer zunehmend aus dem Regelkreis zu nehmen, wodurch die Prädizierbarkeit und damit die zu erwartenden Energieeinsparungen im Realbetrieb steigen. Die Potentiale setzen sich dabei aus zwei Teilen zusammen:
- Die anwendungsspezifische Auslegung des Antriebsstrangs, die sich aus auf den konkreten Anwendungszweck optimierten Fahrzeugkonzepten ergeben
- Die aus der Automatisierung resultierenden optimierten Fahrstrategien; d.h. aus der Anpassung des Fahrprofils und der Optimierung der Betriebsstrategie des Antriebs
Potentiale in der Antriebsstrang- und Komponentenauslegung durch anwendungsspezifische Dimensionierung
Eine aktuelle Umfrage von FEV zeigt: Für hochautomatisierte Fahrzeuge verlieren performanceorientierte Eigenschaften wie Motorleistung oder Beschleunigungs- vermögen an Bedeutung, während die Komfortanforderungen aufgrund der sich ändernden Nutzung und Aktivität innerhalb des Fahrzeugs weiter an Wichtigkeit zunehmen.
Dadurch kann der Antriebsstrang mit der Auslegung seiner Komponenten für anwendungsspezifische Fahrzeugkonzepte optimiert werden, was Energie- einsparpotentiale ermöglicht.
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Prognostizierte Energieeinsparpotentiale im Realbetrieb
Im Rahmen der Studie hat FEV Einsparpotentiale für drei verschiedene Fahrzeugkonzepte berechnet. Hierbei wurde ein Allround- und ein dediziertes Stadtfahrzeug des SAE-Level 4 (Konzept 1 und 2) betrachtet, die ihren Betrieb weitgehend im autonomen Fahrmodus darstellen können. Außerdem wurde ein Fahrzeug mit SAE Level 3 Highway-Chauffeur Funktion (Konzept 3) analysiert. In den Konzepten 1 und 3 kommt ein Plug-In-Hybrid Antriebsstrangkonzept zur Anwendung während es sich bei Konzept 2 um ein batterieelektrisches Fahrzeug handelt. Auf Basis einer statistischen Analyse der 12.000 reale Fahrzyklen zugrunde liegen, wurde das Fahrprofil entsprechend dem Verhalten hochautomatisierter Fahrzeuge angenähert und die entsprechenden Potentiale berechnet. Dieser Simulation liegen folgende Prämissen zugrunde:
- Stoppzeiten lassen sich mittels V2X-Konnektivität reduzieren
- Die Prädiktion des Verkehrsflusses mittels Sensorik und Echtzeitkartendaten ermöglicht eine Glättung des Geschwindigkeitsprofils, der auftretenden Beschleunigungen und Maximalgeschwindigkeiten
Für das Allround-PHEV Konzept mit SAE Level 4 Automatisierungsgrad wurden Anpassungen an den Antriebskomponenten (inklusive Batterie) und eine Optimierung der Fahrstrategie vorgenommen. Die kombinierte Leistung wurde um etwa 20 kW reduziert und die Batteriekapazität um 40 Prozent erhöht.
Diese Maßnahmen senken, unter Berücksichtigung der Utility-Faktor-Anpassung, den Kraftstoffverbrauch um rund 43 Prozent, während gleichzeitig der Verbrauch an elektrischer Energie um 12 Prozent steigt. Die Einsparungen verteilen sich dabei zu etwa gleichen Teilen auf die Antriebsoptimierungen sowie die optimierte Fahrstrategie.
Im Vergleich dazu kann für das Fahrzeug mit Highway-Chauffeur SAE Level 3 Funktion eine Einsparung von rund 7 Prozent an Kraftstoff und 3 Prozent an elektrischer Energie realisiert werden. Das geringere Potential von Konzept 3 gegenüber Konzept 1 geht auf zwei Faktoren zurück: Die Optimierung der Fahrstrategie der Highway-Chauffeur Funktion erfolgt lediglich in einem eingeschränkten Anwendungsbereich. Außerdem können die Antriebskomponenten bei Konzepten mit niedrigerer Automatisierungsstufe nicht angepasst werden, da im manuellen Fahrbetrieb die gewohnte Performance für den Kunden abrufbar bleiben muss.
Für das Stadtfahrzeug (Konzept 2) ergeben sich Einsparpotentiale von mehr als 10 Prozent. Das niedrigere Potential resultiert hier aus dem vergleichsweise geringem Gewicht des kleineren Fahrzeugs und dem reinelektrischen Antrieb, welcher geringere Freiheitsgrade und somit Optimierungspotentiale in der Betriebsstrategie gegenüber einem Hybridantrieb besitzt.
Notwendige Hardware und Software zur Realisierung der Potentiale
Die betrachteten Fahrzeugkonzepte erfordern umfangreiche Hard- und Software. Ein skalierbarer und kosteneffizienter Ansatz für die Umgebungsmodellierung besteht aus einer Kombination bildgebender Erkennungsverfahren mit weiteren Radarsensoren. Zusätzlich ist eine V2X-Konnektivität erforderlich, die Aufschluss über den Verkehrsfluss gibt und mittels Vernetzung mit anderen Verkehrsteilnehmern die Fahrstrategie für einen erweiterten Horizont optimiert.
Für die Lokalisierung und weitere Optimierung der Fahrstrategie sind hochauflösende (HD) Karten notwendig. Während frühere Generationen hochautomatisierter Fahrzeuge hauptsächlich auf LIDAR basierte Karten zurückgegriffen haben, werden aktuell konventionelle Karten erweitert durch Meta-Information (Fahrbahnmarkierungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen etc.) und „Landmarks“ (charakteristische Umgebungspunkte) bevorzugt. Dies wurde durch erhebliche Fortschritte in der bildbasierten Objekterkennung ermöglicht und reduziert die benötigte Datenmenge für HD Karten erheblich. In Zukunft ist zu erwarten, dass leistungsfähigere Algorithmen die Anzahl an „Landmarks“ und damit auch die Anforderungen an eine Datenverbindung weiter reduzieren werden. Dies wird jedoch mit einer Steigerung der erforderlichen on-board Rechenleistung einhergehen.
Hochautomatisierte Fahrzeuge müssen zudem eine besondere Entscheidungsfähigkeit besitzen. Aktuelle Software Kits, beispielsweise des Software-Anbieters AImotive, treffen Fahrstrategieentscheidungen in einer „Motion Engine“. Diese besteht aus verschiedenen Modulen, darunter Fremdobjektverfolgung und Prädiktion, Fahrbahnberechnung, Fahrprofilerstellung, Trajektorienplanung und Befehlserstellung.
Die Fremdobjektverfolgung und Prädiktion erfolgt durch die Detektion, Lokalisierung und Nachverfolgung über mehrere Zeitintervalle, die mit verschiedenen klassischen statistischen Methoden und künstlicher Intelligenz gepaart werden. Da die Genauigkeit der Prädiktion direkte Auswirkungen auf die Bewegungsplanung hat, entscheidet die Kalibrierung dieser Parameter direkt über die Einsparpotentiale des Antriebs.
Bei der Trajektorienplanung wird das aktuelle Szenario mittels heuristischer und vordefinierter Regeln dynamisch adaptiert. Auch auf dieser Ebene lassen sich Funktionen zur Effizienzsteigerung einbetten, was zu optimierten Geschwindigkeits-, Beschleunigungs- und Lenkprofilen für ein determiniertes Manöver führt. Als Konsequenz der Optimierung neuraler Netze (NN) umfasst dies auch eine Trajektorienglättung.
Das essenzielle Training der „Motion Engine“ wird in einer Simulationsumgebung durchgeführt, die auf einem Fahrzeugmodell und realen physikalischen Dynamiken basiert. Die NN der Motion Engine können durch Adaptierung des Modells für spezifische Fahrzeuge, Antriebsstränge und Funktionen optimiert werden. So können sogar bestehende Betriebsstrategien durch relativ einfache Adaptierung direkt in die Künstliche Intelligenz eingebettet werden.
Gesteigerter Energiebedarf des Bordnetzes durch automatisiertes Fahren
Mit der zunehmenden Sensorik und Datenverarbeitung steigt auch der Energieverbrauch im Fahrzeug. Die Bordnetzlast kann bei Ansätzen mit mehreren Kameras oder LIDAR-Sensoren auf 1 kW und mehr ansteigen. Für die Zukunft besteht hingegen die Chance durch neue Chip-Architekturen den Energieverbrauch signifikant zu senken.
Herausforderungen und Chancen für OEM und Zulieferer
Für Automobilhersteller liegt die Herausforderung in der Auswahl erforderlicher Technologien sowie in der hohen Anzahl der zu generierenden Testcases, um mit einer effizienten Hard- und Softwareausstattung die Grundlage zur Realisierung der Potentiale zu schaffen. Auch in der Verifikation der funktionalen Sicherheit von selbstlernenden automatisierten Systemen besteht eine weitere Herausforderung. Mit zunehmendem Vernetzungsgrad entstehen zudem weitere Angriffsvektoren, die durch geeignete IT-Sicherheitsmechanismen geschützt werden müssen.
Für Zulieferer ergibt sich die Chance, diese Trends früh zu erkennen und sich im Markt entsprechend als innovativer Systemlieferant und Integrationspartner für Automatisierungslösungen zu positionieren. So können durch die Zusammenführung von Software- und Hardware-Komponenten neue systemische Lösungen entstehen, die die Komplexität in Entwicklungsprojekten verringern und Synergien in der Validierung schaffen.
