
Turboloch adé
FEV-Experten im Gespräch über erhöhten Fahrspaß und verringerte Emissionen durch 48 Volt-Aufladung
Die Fahrzeugelektrifizierung ist ein wesentliches Element, um die zukünftigen gesetzlichen Vorgaben bezüglich Schadstoff- und CO2-Emissionen von Otto- und Dieselmotoren einzuhalten. 48 Volt Architekturen bieten hierbei besondere Potenziale, da sie – anders als aufwändige Vollhybrid-Systeme mit Kombinationen aus Elektro- und konventionellen Verbrennungsmotoren – keine vollständige Neuentwicklung des gesamten Antriebsstranges nach sich ziehen. Eine besonders interessante Technologie innerhalb eines 48 Volt-Bordnetzes ist ein elektrisch angetriebener Verdichter (E-Charger). Wie eine serientaugliche Lösung aussehen kann, zeigt die FEV Group am Beispiel eines Mercedes AMG A45, in den ein 48 Volt E-Charger vorteilhaft integriert wurde. Mit SPECTRUM sprachen FEV-Experten über das Projekt und das vielfältige Potenzial, das in der elektrischen Aufladung steckt.
Herr Dr. Thewes, als Abteilungsleiter Thermodynamik waren Sie maßgeblich an dem Projekt beteiligt. Warum haben Sie sich für den A45 AMG als Demonstrationsfahrzeug entschieden?
Thewes: Der AMG A45 ist ein Fahrzeug, das nachdrücklich zeigt, zu welchen Erfolgen kompromissloses Downsizing führen kann. Die Literleistung von heute 140 kW/l sucht derzeit in diesem Segment noch ihresgleichen. Gleichzeitig sehen wir einen klaren Entwicklungstrend hin zu noch höheren spezifischen Leistungen von über 200 kW/l. Ein so stark aufgeladener Motor stellt bisher einen Kompromiss dar: Das Turboloch des Motors ist relativ ausgeprägt. Im Alltagsbetrieb – und nicht zuletzt dann, wenn der AMG sportlich ambitioniert bewegt wird – fällt dies dank eines hervorragenden Getriebekonzeptes nicht deutlich ins Gewicht und wird wirkungsvoll kompensiert. Dennoch sehen wir gerade hier auch für andere Pkw-Konzepte ein erhebliches Potenzial, diesem Nachteil durch motorische Optimierungen entgegenzuwirken und die Fahrdynamik noch weiter zu verbessern.
Können Sie kurz das zugrunde liegende Prinzip der 48 Volt-Aufladung erklären?
Thewes: Bei der Integration eines 48 Volt E-Chargers wird ein zusätzlicher elektrisch angetriebener Verdichter auf der Frischluftseite integriert. Aufgrund der Klopfneigung des Ottomotors wird bevorzugt eine Integration vor dem Ladeluftkühler vorgenommen. Der E-Charger kann prinzipiell vor oder hinter dem Verdichter des Abgasturboladers installiert werden. Thermodynamisch günstiger für die Auslegung des konventionellen ATL-Verdichters ist dabei die hier umgesetzte Position. Der E-Charger unterstützt bei Lastanforderungen den vorhandenen Abgasturbolader. Sobald der gewünschte Lastzustand über den Abgasturbolader eingestellt ist oder der E-Charger kein zusätzlich positives Druckverhältnis zur Erreichung dieses bereitstellen kann – beispielsweise bei hohen Motordrehzahlen – wird der E-Charger über eine Bypass-Klappe umgangen, um die Druckverluste gering zu halten.
Welche Vorteile ergeben sich beim AMG A45?
Thewes: Das elektronisch betriebene Aggregat unterstützt den auf Maximalleistung ausgelegten Twin-Scroll-Turbolader bei niedrigen Drehzahlen und hochdynamischen Lastwechseln. So ist das maximale Drehmoment von 450 Nm bereits bei 1.600 1/min und somit 650 1/min früher als in der Serienversion verfügbar. So nehmen Elastizität und Ansprechverhalten noch einmal zu und die Anzahl der Schaltvorgänge kann minimiert werden. Die Beschleunigung von 80 auf 120 km/h verbessert sich beispielsweise – je nach gewähltem Gang – um bis zu 54 Prozent.

Dr. Thomas Hülshorst,
Group Vice President
Electronics & Electrification

Thomas Körfer
Group Vice President
Dieselmotoren
FEV Group Holding GmbH

Dr. Matthias Thewes
Abteilungsleiter
Thermodynamik
FEV GmbH
Wären diese Vorteile nicht auch durch einen Biturbo, eine zweistufige Aufladung oder eine variable Turbinengeometrie zu erreichen?
Thewes: Alle diese Technologien beruhen auf Abgasturboladern und sind somit weiterhin von der verfügbaren Abgasenergie abhängig. Die Turbinenleistung, die über Welle und Verdichter in Ladedruck umgesetzt wird, setzt sich zusammen aus Abgas-Massenstrom und Temperatur. Beides ist in den Niedriglast-Betriebspunkten, aus denen heraus beschleunigt wird, oft nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Hier sind elektrische oder mechanische Lader klar im Vorteil. Aber auch bei der zweistufigen Aufladung wird es in Zukunft innovative Vorschläge von FEV geben. Wichtig hierbei ist, dass gute Lösungen gefunden werden, um trotz der Erhöhung der Anzahl der Abgasturbolader und der damit einhergehend steigenden thermischen Trägheit des Abgassystems vor dem Katalysator, die strengsten weltweiten Emissionsgrenzwerte sicher und ganzheitlich einhalten zu können. Dies ist ein wesentlicher Vorteil einer Lösung mit einem E-Charger.
>> DIE BESCHLEUNIGUNG DES AMG A45 VON 80 AUF 120 KM/H VERBESSERT SICH BEISPIELSWEISE – JE NACH GEWÄHLTEM GANG – UM BIS ZU 54 PROZENT
Herr Körfer, die elektrische Aufladung ist – ähnlich wie die Verwendung eines Turboladers – kein Thema nur für Ottomotoren. Wie sind Ihre Erfahrungen mit 48 Volt E-Chargern in Diesel-Powertrains?
Körfer: Wir haben eine Teilelektrifizierung des Antriebsstrangs mithilfe eines 48 Volt E-Chargers bereits in unterschiedlichen Applikationen vorgenommen und die zusätzlichen Potentiale und die erweiterten Freiheitsgrade intensiv untersucht und bewertet. Die hierbei erzielbaren Verbesserungen hängen dabei stark von der bestehenden Grundapplikation ab. Letztendlich wird es sicherlich für alle Anwendungen zu einem individuell abgewogenen Kompromiss zwischen Reduktion der CO2– und Schadstoffemissionen einerseits und Steigerung von Fahrdynamik und Leistungsverhalten andererseits kommen. Die Optimierungen bewegen sich zwischen etwa 15 Prozent Verringerung der CO2-Emissionen und 30 Prozent Fahrleistungserhöhungen – jeweils inklusive adäquater Antriebstranganpassungen. Im gehobenen Fahrzeugsegment beschreibt sicherlich das Attribut „Komfortverbesserung“ einen zusätzlichen bedeutsamen Parameter. Insbesondere in Verbindung mit einem modernen Automatikgetriebe bietet die 48 V-Technologie weitere Potentiale. Durch das erheblich gesteigerte „Low-End Torque“ und dem damit deutlich verbesserten Ansprechverhalten können insgesamt längere Getriebeübersetzungen und somit das sogenannte Down-Speeding realisiert werden. Dies führt zu einem nochmals verringerten Verbrauch, insbesondere unter „Real life“ Fahrbedingungen, bei gleichzeitiger Verbesserung im Fahrspaß. Hierzu hat die FEV Gruppe eine neue, innovative DCT-Getriebefamilie aufgesetzt, welche hohe Robustheit und Fahrkomfort in Verbindung mit extrem guten Getriebewirkungsgraden bietet und damit eine sehr attraktive Gesamtsystemkonfiguration ermöglicht.
Inwiefern unterscheiden sich die Möglichkeiten, die sich bei Dieselmotoren ergeben, von denen bei Ottomotoren?
Körfer: Die Anwendung beim Ottomotor ist ja primär unterstützend zum grundsätzlichen „Downsizing“-Trend ausgerichtet und ermöglicht die Verbesserung von Fahrleistungen in verschiedenen Fahrzeugklassen unter der Prämisse minimierter CO2-Werte. Der Vorteil eines 48 Volt E-Chargers beim Dieselmotor ist sein breites Anwendungsgebiet mit positiven Effekten auf unterschiedliche Anforderungsmerkmale. Unter dem Eindruck der jüngst formulierten neuen gesetzlichen Anforderungen mit Bezug auf Real Driving Emissions – kurz RDE – erwarten wir zunächst eine vorwiegende Nutzung hinsichtlich Emissionsminderung, verbunden mit moderaten Verbrauchsverbesserungen in den Zertifizierungszyklen. Die neuen, hochdynamischen Betriebsanforderungen erfordern ein adäquates Luftmanagement des Motors, damit ein harmonisiertes Motorrohemissionsverhalten realisiert werden kann und optimierte Konvertierungsraten der DeNOx-Katalysatoren ermöglicht werden. Hier bietet der 48 Volt E-Charger in Verbindung mit innovativen, modell- und regel-basierten Funktionsalgorithmen ein sehr hohes Potential.
Wo liegen die wichtigsten Unterschiede bei der Integration eines 48 Volt-Laders in einen Otto- oder Dieselmotor?
Körfer: Bei der Integration eines 48 Volt-Chargers in einen modernen Dieselmotor ist sicherlich zuerst das komplexe Luftsystem eines Dieselmotors mit HD- und ND-AGR zu nennen. Dies führt neben den gesteigerten Ansprüchen an die Regelungsgüte und die damit verbundene komplexe Modellierung des Zylinderfüllungsmodells einerseits, aber auch zu einer höheren Belastung der Komponenten durch rückgeführtes Abgas, einschließlich hohen Wasseranteilen und aggressiven Bestandteilen, und damit zwangsläufig zu einer deutlich erhöhten Materialbelastung. Diesbezüglich sind bis zu einer robusten, serientauglichen Applikation mit der optimalen Nutzung des gegebenen vielfältigen Potentials noch Aufgaben zu bewältigen.
Herr Dr. Hülshorst, können Sie als FEV Vice President Electronics & Electrification kurz mögliche Szenarien für die E-Integration eines 48 Volt E-Chargers skizzieren?
Hülshorst: Grundsätzlich ist neben der Koexistenz von 12 Volt und 48 Volt-Teilnetzen auch eine Umstellung des gesamten Bordnetzes auf 48 Volt denkbar. Inzwischen bieten Zulieferer eine ganze Reihe von 48 Volt-Nebenaggregaten. Realistisch betrachtet wird es aus unserer Sicht jedoch auf zwei parallele Bordnetze hinauslaufen. Die Hochstromverbraucher – darunter beispielsweise Klimaanlagen, beheizbare Katalysatoren oder auch Lenkung und Stabilitätskontrolle – werden zusammen mit dem Antrieb im 48 Volt-Teilnetz betrieben. Da die höhere Spannung gleichbedeutend mit verringerten Strömen ist, können hier Kabelquerschnitte und elektrische Motoren sowie Transistoren und Leistungsschalter leistungsfähiger ausgelegt oder verkleinert werden, was Platz und Gewicht spart.
Vergleichsweise einfache, leistungs¬arme und vor allem etablierte Bauteile werden hingegen weiter über 12 Volt betrieben. Dabei wird das 12 Volt-Teilnetz durch einen Gleichspannungswandler gespeist, der die 12 Volt-Blei-Batterie mit Energie versorgt.
Abseits eines „Leuchtturmprojektes“ wie beim AMG A45, der alles andere als ein herkömmliches Fahrzeug ist: Wo sehen Sie zukünftig die Potenziale einer elektrischen Aufladung?
Thewes: Bei Ottomotoren verspricht die Nutzung eines zusätzlichen 48 Volt E-Chargers insbesondere bei Fahrzeugen der Luxusklasse – die zunehmend auch mit Vier- und Sechszylindermotoren angeboten werden – einen erhöhten Fahrkomfort. Die Kompromisse, die sich durch das Downsizing ergeben und die – ähnlich wie in unserem AMG-Beispiel – durch das Getriebekonzept ausgeglichen werden müssen, beeinflussen Fahrkomfort und Geräuschkulisse negativ. Eine zusätzliche Aufladung mittels 48 Volt E-Charger kann hier Abhilfe schaffen – was gerade für die Käufer der Premiumklassen ein wichtiger Aspekt ist. Ferner kann der E-Charger in Konzepten mit geringeren spezifischen Leistungen als 140 kW/l beispielsweise dazu verwendet werden, umfassende Miller-Verfahren in Kombination mit externer gekühlter AGR umzusetzen, um so sehr verbrauchsgünstige Ottomotorkonzepte zu realisieren. Dies diskutieren wir sogar schon für Dreizylinder Ottomotoren, wobei bei kleinen Motoren auch ein 12 Volt E-Charger ausreichend sein kann.
Körfer: Die primäre Einführung sehen wir derzeit auf Grund der Gesamtkostensituation ab der gehobenen Mittelklasse, also D/E-Segment. Zusätzlich hierzu vermutlich einige schwerere Applikationen im C-Segment, also SUVs und MPVs. Während bei den letztgenannten Anwendungen überwiegend die emissionsseitigen Aspekte unterstützt werden, spielen die Leistungs- und Komfortattribute in den Premiumanwendungen ebenfalls eine größere Rolle.
Hülshorst: Das Layout zukünftiger Bordnetzstrukturen wird neben dem elektrifizierten Turbolader auch durch künftige gesetzliche Vorgaben und Komfort-Erwartungen der Konsumenten bestimmt. Hierzu zählen beispielsweise erweitertes Start-Stop, Segel-Funktion, Safety- relevante Assistenzsysteme, Fußgängerschutz oder Defrost Frontwindschutzscheibe. Dies erfordert eine zunehmende Elektrifizierung, die den elektrischen Bedarf des Bordnetzes ansteigen lässt, da während des Motorstillstands viele Funktionen erhalten bleiben müssen – beispielsweise die elektrische Lenkung, das elektrische Bremssystem, Klimatisierung oder das Abstandsradar. Duale Bordnetze werden somit in Kürze bereits in der Ober- und Mittelklasse zum Standard werden. Der elektrisch unterstützte Turbolader wird dann nur eine von mehreren Komponenten im Hochlastbereich sein, die es zu versorgen gilt und stellt damit keine gesonderte Anforderung an das zukünftige Bordnetz. Eine sinnvolle Ausbaustufe ist darüber hinaus die gezielte Rekuperation von Energie.
Mithilfe entsprechender Technologien – beispielsweise Riemenstartergeneratoren – lassen sich – unserer Erfahrung nach – bis zu ¼ der Fahrleistung segelnd und entsprechend spritsparend erzielen.
