Die Zukunft des Testens hat schon lange begonnen

FEV-Experten im Gespräch über Lösungen für einen effizienten Prüfbetrieb

28. Juni 2017 | Software & Testing Solutions

Planer und Betreiber von Prüffeldern, aber auch Hersteller von fortschrittlichen Lösungen für das Prüfequipment sind derzeit nicht zu beneiden. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen, die an sie gestellt werden: neue Fahrzeugkonzepte lassen die Fülle der Entwicklungsaufgaben steigen, Prüfergebnisse müssen immer genauer und in immer kürzerer Zeit generiert werden, gleichzeitig müssen die Kosten sinken. Eine sprichwörtliche Quadratur des Kreises ist notwendig, bei der alles auf den Kernfaktor Effizienz hinausläuft.

Mit SPECTRUM sprechen Dr. Stefan Trampert, Group Vice President Operations der FEV, und Dr. Jürgen Dohmen, Vice-President Software & Testing der FEV Europe GmbH, über die Herausforderungen und Lösungen eines effizienten Prüfbetriebs sowie über die Zukunft des Testings.

Herr Dr. Trampert, FEV betreibt weltweit fast 200 Prüfstände. Inwieweit merken Sie hier die Auswirkungen neuer Fahrzeugkonzepte auf den
täglichen Prüfbetrieb?

Trampert: Wir merken vor allem die steigende Nachfrage nach System- und Komponentenprüfständen für die E-Mobilität. Hierzu gehören einerseits Batterie-Testkapazitäten, aber auch Testsysteme für E-Motoren, E-Antriebsmodule und hybride Antriebsstränge. Daher bauen wir derzeit weltweit unsere bereits vorhandenen Kapazitäten in all diesen Bereichen aus: Unser Entwicklungszentrum in China, das erst im vergangenen Jahr eingeweiht wurde, stößt heute bereits an seine Grenzen. Hier werden wir aufrüsten und die geplante zweite Ausbaustufe bereits jetzt angehen, die binnen Jahresfrist vor allem weitere E-Achsprüfstände und Ressourcen zur Batterieentwicklung umfasst. Die Klimakammer der Batterieprüfstände bietet selbst für großformatige Unterflurbatterien mit deutlich mehr als 100 kWh ausreichend Platz. Auch an unserem Standort nahe Paris entstehen zusätzliche, hochmoderne Prüfstände für E-Antriebsmodule und Batterien. Am Firmenhauptsitz in Aachen errichten wir darüber hinaus neue E-Mobilitäts-Prüfstände und auch der Bau weiterer Rollenprüfstände für die Fahrzeugerprobung ist derzeit in Vorbereitung.

Bei steigender Nachfrage werden vor allem die Effizienz der unterschiedlichen Testeinrichtungen sowie die Test- und Entwicklungsgeschwindigkeit zum Schlüsselfaktor. Wie ist FEV hier aufgestellt?

Trampert: Das ist richtig, die Effizienz im Prüfbetrieb ist der Dreh- und Angelpunkt für ein erfolgreiches Entwicklungsprojekt. Aus diesem Grund haben wir Anfang 2017 auch an unseren Entwicklungsprüfständen in Aachen den vollkontinuierlichen Schichtbetrieb eingeführt. Diese Maßnahme in Kombination mit einer immer weiter um sich greifenden Automatisierung der unterschiedlichen Prüfstände steigert die Effizienz, Verfügbarkeit und den verwertbaren Output der Prüfstände nachhaltig. So können wir Entwicklungsprojekte unserer Kunden noch schneller durchführen.

Darüber hinaus haben wir in der FEV Gruppe ein Programm aufgelegt, mit dem wir die Effizienz in unseren Prüfbetrieben weltweit erhöhen. Dieses umfangreiche Effizienzprogramm bieten wir in Zusammenarbeit mit unserem Consulting im Übrigen auch als Service-Leistung für unsere Kunden an. Dabei haben wir die schrittweise Optimierung eines Prüfbetriebs in einen klar strukturierten Projektansatz mit sechs Themen-Clustern übersetzt: Hierzu gehören die strategische Ausrichtung einzelner Prüffelder, die Analysen des bestehenden und zukünftigen Produktprogramms und die Bewertung der zukünftig benötigten Testkapazitäten. Des Weiteren gehören Anpassungen der Prüffeldorganisation, der benötigten Kern-Kompetenzen, der Prüfmethoden sowie der Tools und des Prüfequipments dazu. Vor allem auch die Prozesse innerhalb des Prüfbetriebs, beispielsweise die Prüffeldplanung, die Zusammensetzung und Arbeitsplanung in den Tag- und Nachtschichten, die Schichtübergaben und so weiter werden analysiert und optimiert.

Dr. Stefan Trampert - Prüfbetriebe und Testing

Dr. Stefan Trampert, Group Vice-President Operations


FEVFlex - Prüfbetriebe und Testing

FEVFLEX unterstützt wichtige Qualitätsprozesse mittels einer implementierten 8D-Reportfunktion.

Herr Dr. Dohmen, wie kann die Effizienz im Prüfbetrieb von der Produktseite her optimiert werden?

Dohmen: Gerade den unterschiedlichen Software-Tools kommt eine wichtige Funktion bei der Effizienzsteigerung zu – beispielsweise dem Datenmanagement: Daten, Fakten und Ereignisse aus dem laufenden Betrieb müssen reproduzierbar aufgezeichnet und jederzeit abrufbar sein. FEVFLEX nimmt hier eine wichtige Schnittstellenfunktion am Prüfstand und im Prüfzentrum ein. In ihm laufen die Betriebsdaten aller Komponenten und Automatisierungssysteme zusammen. Diese werden automatisiert erfasst und standardisiert geloggt. Eine automatisierte Reportfunktion mit allen wichtigen Parametern von Prüfstand, Prüfling etc. garantiert absolute Transparenz für alle Kunden und Fachabteilungen.
Zudem unterstützt FEVFLEX wichtige Qualitätsprozesse mittels einer implementierten 8D-Reportfunktion. Dies stellt sicher, dass etwaige Probleme mit Prüfstandskomponenten zentral erfasst und vom globalen Device-Manager, dem Produkt-Verantwortlichen, erkannt und nachhaltig behoben werden.

Dr. Jürgen Dohmen - Prüfbetriebe und Testing

Dr. Jürgen Dohmen, Vice-President FEV Software & Testing Solutions

Betriebsdaten sind ja nicht die einzigen Daten, die anfallen. Wie sieht das Handling der Messdaten in der Praxis aus?

Trampert: Gerade bei wechselndem Personal, weltweiten Standorten und unterschiedlichen Fachabteilungen kommt der Vernetzung der Prüffelder, dem Messdaten-Handling und -Management eine wichtige Funktion zu. FEV verwendet ein fortschrittliches und über Jahre entwickeltes Daten-Managementsystem, das unter anderem auch als Auftragsschnittstelle zwischen den Fachabteilungen und dem Prüfstandspersonal fungiert und einen automatisierten Fluss der Daten der Tests gemäß festgelegter Spezifikationen in die Automatisierung ermöglicht. Der Vorteil dieses Systems wird vor allem dann sichtbar, wenn man verschiedene, aufeinander aufbauende Testreihen an unterschiedlichen Standorten durchführen muss: Ein Testingenieur, der mit einem Versuchsfahrzeug an einem beliebigen Standort auf der Welt Versuchsreihen fährt, kann über das Managementsystem Testreihen beschreiben und beauftragen, die dann noch während seiner Abwesenheit, aber gemäß seiner Spezifikationen durchgeführt werden. Aufbauend auf diesen Testergebnissen, kann er dann vor Ort weitere Prüfreihen angehen. Weiterhin stellt das System samt seiner Schnittstellen umfangreiche Funktionen zur Prüfung, Plausibilisierung und Freigabe von Messergebnissen aus verschiedensten Messsystemen zur Verfügung – und dies quasi-online.

Hardware-in-the-Loop (HiL), Engine- in-the-Loop (EiL), Software-in-the-Loop (SiL) etc.: Der Trend geht immer mehr zu einer gleichzeitigen Entwicklung auf allen Ebenen. Welche Rolle nimmt die Simulation in der Produkt- und Testing-Welt der FEV ein?

Dohmen: Die realitätsnahe Simulation von physisch nicht verfügbaren Komponenten ist natürlich ein wichtiges Element, um Geschwindigkeit und Effizienz im Prüf- und vor allem im Entwicklungsprozess zu erhöhen. Und ja, der Trend zu mehr und mehr XiL-Lösungen ist hier maßgeblich. Von der Produkt-Seite her begegnen wir diesen Herausforderungen vor allem mithilfe unseres kollaborativen Entwicklungs- und Validierungs-Frameworks, das auf der MORPHEE-Automatisierung beruht. Dieses ermöglicht es, selbst komplexe Modelle in „harter“ Echtzeit auf dem Prüfstand auszuführen. Aber auch die physische Simulation von Bauteilen nimmt eine wichtige Rolle ein. Hierzu haben wir bereits eine sogenannte ETPS-Lösung erarbeitet, bei der der Verbrennungsmotor in der Hybrid-Antriebsprüfung durch einen E-Motor simuliert wird. ETPS steht für Engine Torque Pulse Simulation. Das Verhalten des E-Motors wird dabei an das eines Verbrenners angepasst – inklusive Schaltstrategien, wechselnden Drehzahlniveaus und vor allem auch Vibrationen und Drehschwingungen. So können unterschiedliche Zylinderzahlen und auslegungsrelevante Hochdynamik-Parameter simuliert werden. Der Vorteil einer solchen Lösung liegt im einfacheren Betrieb des Prüfstands. Schlüsseltechnologie für eine derartige Simulation ist neben der Elektromechanik vor allem eine hochdynamische Regelung des Prüfstands. Hierbei kommt unser bewährter AC/PM-Dyno-Regler FEV-TOM in Kombination mit einem Echtzeitnetzwerk und unserer Automatisierung zur Anwendung.

Trampert: Die echtzeitfähige Simulation am realen Prüfstand hat noch einen weiteren Vorteil: Sie ermöglicht es, ganze Real Driving-Fahrzyklen am Motorenprüfstand zu simulieren. Mittels Engine-in-the-Loop wird der Motor mit den virtuellen Antriebs- und Fahrzeugkomponenten sowie einem Strecken- und Fahrerprofil kombiniert. Straßenfahrten mit unterschiedlichen Schaltstrategien, Drehzahlniveaus und Lastzuständen sowie mit unterschiedlichem Fahrerverhalten können dann mithilfe der echtzeitvernetzten hochdynamischen Prüfstandsregelung realisiert werden. So können wir in einer frühen Entwicklungsphase gleichzeitig verlässliche und reproduzierbare Ergebnisse einfahren und eine Entwicklungsplattform für sehr schnelle Parameter- oder Komponentenänderungen bieten.
Perspektivisch ist damit sogar denkbar, dass wir die heute übliche Methodik des Online-Design-of-Experiments (DoE) am Prüfstand zu einer Gesamtfahrzeug-Online-Kalibrierung am Engine-in-the-Loop-Prüfstand erweitern. Das heißt: Wir nutzen nicht nur die erweiterte Automatisierungsfähigkeit unserer Motorenprüfstände um Motorkalibrierungen zu erfahren. Zusätzlich wird eine automatisierte virtuelle Kalibrierung in Verbindung mit erweitertem Online-DoE genutzt, um Schaltstrategien oder Übersetzungsverhältnisse für Automatikgetriebe zu entwickeln, Schaltpunkte zu setzen und eine Vielzahl anderer Fahrzeug- oder Hybridantriebs-Parameter auf Basis physikalischer Modellkomponenten automatisiert zu optimieren.

Dohmen: Eine Schlüsselfunktion hierbei nimmt unser leistungsfähiges Online- und Offline-DoE-Tool xCal ein. Dieses nutzt globale state-of-the-art-Modellierungstechniken, die mit hervorragender Visualisierung und intuitiver Bedienerführung kombiniert werden.

Wagen wir noch einen weiteren Blick in die nahe Zukunft: In wieweit werden automatisierte Fahrfunktionen und Fahrerassistenzsysteme die Testlandschaft verändern?

Dohmen: Der Test- und Validierungsaufwand für automatisierte Fahrzeuge wird noch einmal exponentiell ansteigen. Dadurch werden vollständig neue Release-Strategien notwendig und der Bedarf für automatisierte und simulative Lösung wächst immer weiter.

Trampert: Schon alleine aufgrund der Vielzahl der Testfälle werden virtuelle Entwicklungsumgebungen wie die eines SiL oder HiL eine tragende Rolle einnehmen müssen. Dabei muss jedes denkbare Szenario kreiert und validiert werden. Besonders herausfordernd wird dabei auch die Ausklammerung von „false-positives“ und „false-negatives“: Stellen Sie sich vor, vor Ihnen fährt ein Traktor mit Tempo-25-Schild am Anhänger, den Sie überholen wollen. Die sensorische Erfassung eines Schildes ist relativ einfach zu testen und zu erzielen. Die Transferleistung in eine Fahrstrategie und Entscheidung ist jedoch alles andere als trivial: Das Tempo-25-Schild ist nun eine bauartbedinge Höchstgeschwindigkeit und keine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Fahrstrecke. Der Traktor kann und soll vom Fahrzeug überholt werden.
Der Schwerpunkt der Entwicklung und Validierung von ADAS-Funktionen auf einer ortsfesten Testeinrichtung, also weder im Gesamtfahrzeug auf der Teststrecke noch im MiL- / HiL-Labor, liegt auf der Wahrnehmung des Passagiers und Fahrers sowie manchmal auch unerwarteten Eingriff ins automatisiert fahrende System. Hierzu bieten sich gängige Fahrsimulatoren mit einer angepassten Mensch-Maschine-Schnittstelle und einem erweiterten Funktionsumfang durch virtuelle Komponenten oder sogar durch Hardware an. Eine bidirektionale Echtzeit-Koppelung des Fahrsimulators mit einem Motor- oder Antriebstrang-Prüfstand bietet dem Tester dann realistische Reaktionen seines autonom fahrenden Fahrzeuges.
Ist die Vielfalt der verwendeten Sensorik zur Erfassung der Umgebung einzubeziehen, so sind Gesamtfahrzeugtests unabkömmlich. FEV verfügt bereits heute über eine Teststrecke mit diversen Straßensituationen und baut diese kontinuierlich weiter aus.

Herr Dr. Trampert, Herr Dr. Dohmen, vielen Dank für das Gespräch.

Diagramm - Prüfbetriebe und Testing

Exemplarisch: Spider-Diagramm zur regelmäßigen Bewertung eines Effizienzprogramms in einem Prüffeld

Batterie - Prüfbetriebe und Testing

Die geplante Klimakammer der Batterieprüfstände in China bietet selbst für großformatige Unterflurbatterien mit deutlich mehr als 100 kWh ausreichend Platz

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