Electric Drive Unit (EDU)

Getriebe für Batterieelektrische Fahrzeuge

6. November 2018 | Engineering Service

Die Entwicklung in Richtung batterieelektrischer Fahrzeuge wird sich in den kommenden Jahren kontinuierlich fortsetzen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Notwendigkeit zur Erfüllung zukünftiger Kraftstoffverbrauchs- und Emissionsziele für Fahrzeugflotten. Durch den erwarteten Fortschritt in den Bereichen Batterieladeinfrastruktur, Batteriekapazität, ausreichende Reichweite, Fahrzeuggewicht und Kosten werden Hindernisse, die diese Entwicklung möglicherweise beeinträchtigen, eliminiert.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit Getrieben im Antriebsstrang batterieelektrischer Fahrzeuge. Obwohl Einganggetriebe für viele Fahrzeuge üblich und derzeit ausreichend sind, gibt es auch Anwendungen, bei denen der Einsatz von Zweiganggetrieben von Vorteil ist. Die Gründe dafür werden im Folgenden vorgestellt. Zudem wird eine moderne Zweigang-Getriebefamilie vorgestellt, die zusätzlich zur Rekuperation sowohl Lastschaltfähigkeit als auch Segelbetrieb gewährleistet.

Anforderungen für EDU-Getriebetypen und Entwicklungstrends

Der Trend zum batteriebetriebenen Fahrzeug wird sich in Zukunft fortsetzen oder sogar beschleunigen, da diese Konzepte erheblich zur Erfüllung der zukünftigen Ziele in den Bereichen Flottenkraftstoffverbrauch und Fahrzeugemissionen beitragen werden. Um erfolgreich zu sein, benötigen diese neuen Konzepte moderne und intelligente Lösungen für ihren Antriebsstrang und insbesondere für ihre elektrischen Antriebseinheiten. Bei der Suche nach der bestmöglichen Lösung müssen die Merkmale verschiedener Anwendungen, wie z. B. kleine und größere Pkws, leichte, mittelschwere und schwere Lkws oder Off-Road-Ausrüstungen, sorgfältig berücksichtigt werden. Angesichts dieser Vielzahl möglicher Anwendungen ist die Vielfalt von Getriebekonzepten erheblich angestiegen.
Viele andere Kriterien bestimmen die aktuellen Entwicklungstrends und beeinflussen die Auswahl des richtigen Konzepts. Beispielsweise wirkt sich die Anzahl von Getriebegängen wesentlich auf Funktion, Komplexität und damit auch die Kosten des Fahrzeugs aus. Einganggetriebe sind zwar für viele Fahrzeuge in zahlreichen Anwendungen ausreichend, Zweiganggetriebe können aber sowohl Reichweite als auch Höchstgeschwindigkeit bei gleichzeitiger Beibehaltung einer guten Anfahrleistung steigern. Zwei- oder Mehrganggetriebe in batterieelektrischen Fahrzeugen müssen dabei lastschaltfähig sein, um eine gleichmäßige Beschleunigung ohne Zugkraftunterbrechungen als typischem Merkmal von Elektrofahrzeugen zu garantieren.
Die Anzahl der Gänge wirkt sich direkt auf die Systemleistung und die erforderliche Größe des E-Motors aus und beeinflusst daher die Gesamtsystemkosten stark. Mehrganglösungen sind besonders vorteilhaft für Fahrzeuge mit hoher Anforderung an das Raddrehmoment und relativ geringem Leistungsbedarf, wie zum Beispiel bei Transportern bis 3,5 Tonnen mit emissionsfreiem Betrieb in Stadtzentren, die sich schnell in Fahrzeugflotten zur Verteilung von Waren in Städten und Vorstadtgebieten etablieren werden. Diese Fahrzeuge müssen sowohl ein ausreichendes Anfahrdrehmoment aufweisen als auch eine angemessene Maximalgeschwindigkeit auf der Autobahn erreichen. Die Fahrzeugbelastungen und die vergleichsweise einfache Einrichtung einer Ladeinfrastruktur – die Fahrzeuge kehren jeden Tag zu einem Verteilzentrum zurück – begünstigen die Einführung von ausschließlich elektrisch betriebenen Transportern. Das Gleiche gilt für kleine Kommunalfahrzeuge wie Kehrmaschinen oder Muldenkipper, die hauptsächlich in Innenstädten zum Einsatz kommen.

>> UM ERFOLGREICH ZU SEIN, BENÖTIGEN NEUE KONZEPTE MODERNE UND INTELLIGENTE LÖSUNGEN FÜR IHREN ANTRIEBSSTRANG UND INSBESONDERE FÜR IHRE ELEKTRISCHEN ANTRIEBSEINHEITEN

Zusätzlich nötigt der hohe Marktdruck alle Hersteller, elektrische Antriebskonzepte mit kurzer Markteinführungszeit und geringen Entwicklungskosten zu entwickeln, die bereits ausgereift sind. Daher sollten alle verwendeten Teilsysteme wie Elektromaschine, Inverter und gegebenenfalls auch Kupplung mit Betätigungssystem bereits den höchstmöglichen Reifegrad erreicht haben.
Vor allem bei den weit verbreiteten permanent erregten Synchronmotoren sollte der Segelbetrieb zusätzlich zur Rekuperation während des Ausrollens oder Bremsens eingeführt werden. Für den Segelbetrieb muss der Elektromotor in einer „Neutralfunktion“ von den Antriebsrädern abgekoppelt werden. Dies führt zu einer Reduktion der Schleppverluste des E-Motors, die besonders bei hoher Fahrzeuggeschwindigkeit und hohen Wellendrehzahlen die Effizienz maßgeblich beeinflussen.
Es ist zudem ein eindeutiger Trend zu höheren Integrationsniveaus zu erkennen. Die elektrische Antriebseinheit bestehend aus Inverter, Elektromotor, Getriebe und Wärmetauscher bildet dabei eine Baugruppe, die weit über einen Hilfsrahmen hinausgeht und Vorteile bezüglich Bauraum, Gewicht und Kosten bietet. Dieses umfangreiche Komplettsystem durchläuft eine Endkontrolle bevor es direkt an das Fahrzeugwerk zum Einbau in das Fahrzeug geliefert wird.
FEV hat in Anbetracht der erwähnten Entwicklungstrends Lösungen für die Antriebseinheiten batterieelektrischer Fahrzeuge entwickelt. Diese Antriebseinheiten werden später im Artikel genauer beschrieben. Im nächsten Kapitel wird beschrieben, wann und warum Mehrganggetriebe genutzt werden sollten.

Auswahl der Anzahl an Getriebegängen

Abb. 1: Bestimmung des Dauerleistungsbedarfs

Abbildung 1 zeigt den Leistungsbedarf verschiedener Fahrzeugtypen bei konstanter Fahrt und 3 prozentiger Steigung. Mithilfe dieses Diagramms kann die erforderliche Dauerleistung einer elektrischen Antriebseinheit auf Basis der Höchstgeschwindigkeitsanforderung des Fahrzeugs bestimmt werden. Darüber hinaus ermöglicht die sekundäre X-Achse am oberen Ende die direkte Umwandlung der Fahrzeuggeschwindigkeit (km/h) in die Radgeschwindigkeit (U/min) für einen bestimmten Reifenradius. Für ein typisches D-Klasse-Fahrzeug ist eine Dauerleistung von 140 kW erforderlich, um eine Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h bzw. 1.705 U/min an den Rädern zu erreichen.

Abb. 2: Bestimmung des erforderlichen Anfahrdrehmoments auf Basis der Beschleunigung

Neben den aus der obigen Abbildung abgeleiteten Anforderungen an Dauerleistung und Radgeschwindigkeit können die Anforderungen an Spitzenleistung und maximalem Anfahrdrehmoment mittels Abbildung 2 auf Basis einer gewünschten Fahrzeugbeschleunigung von 0 auf 100 km/h bestimmt werden. Das Diagramm basiert auf standardisierten Beschleunigungssimulationen unter Berücksichtigung der Grenzwerte für Radschlupf. Für ein typisches D-Klasse-Fahrzeug ist ein maximales Anfahrdrehmoment von 5.000 Nm und eine Spitzenleistung von 280 kW erforderlich, um eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 5,5 Sekunden zu erzielen.

Abb. 3: Verhältnis von erzielbarer Spitzenleistung zu Dauerleistung

Abbildung 3 basiert auf Benchmarkdaten verschiedener Elektromotoren und zeigt das Verhältnis von erzielbarer Spitzenleistung (für mindestens 30 Sekunden) zu Dauerleistung. Die meisten verfügbaren Motoren liegen auf oder unter der 2:1-Linie, während einige neuere Konstruktionen in der 800-V-Klasse darüber liegen. Mithilfe dieser Abbildung kann beurteilt werden, ob die definierten Anforderungen für Dauer- und Spitzenleistung realistischer Weise von einem einzelnen Elektromotor erbracht werden können. In diesem Beispiel können Dauerleistungen von 140 kW und Spitzenleistungen von 280 kW von verfügbaren Motorenkonstruktionen durchaus erreicht werden. Falls die Anforderungen außerhalb der üblichen Bandbreite liegen, müssen entweder die Leistungsanforderungen auf Fahrzeugebene überdacht oder der Elektromotor muss hinsichtlich Spitzen- oder Dauerleistung aufgerüstet werden.
Die Zielwerte für Dauerleistung, Spitzenleistung, maximalem Achsdrehmoment und maximaler Radgeschwindigkeit werden mithilfe der gezeigten Zusammenhänge für bestimmte Fahrzeugleistungsziele definiert.
Durch Multiplikation der maximalen Radgeschwindigkeit und des erforderlichen maximalen Achsdrehmoments kann der Referenzwert „Spreizung“ berechnet werden. Dieser Referenzwert kann direkt mit der „Spreizung“ von Elektromotoren verglichen werden, die durch die Multiplikation von Spitzendrehmoment mit den Höchstgeschwindigkeitswerten berechnet wird. Dieser direkte Vergleich der auf Fahrzeugebene erforderlichen und auf Elektromotorebene verfügbaren „Spreizungswerte“ ist möglich, da Drehmoment und Höchstgeschwindigkeit unter Verwendung eines Einganggetriebes mit fester Getriebeübersetzung angepasst und abgewogen werden können. Dabei ist es unerheblich, ob der Elektromotor ein hohes Spitzendrehmoment und eine relativ niedrige Höchstgeschwindigkeit oder umgekehrt liefert, solange der Spreizungswert dem Zielwert des Fahrzeugs entspricht. Die Getriebeübersetzung wird zur Umwandlung der Elektromotorwerte zu den an den Rädern erforderlichen Werten verwendet.

Abb. 4: Anzahl an Getriebegängen auf Basis der Fahrzeugleistungsanforderungen

In Abbildung 4 sind die Spreizungswerte verschiedener Elektromotoren in Abhängigkeit von ihrer Dauerleistung dargestellt. Es wird gezeigt, dass die erzielbaren Spreizungswerte von der Motorentechnik abhängen. Die Trendlinie für Axialflussmotoren liegt aufgrund der begrenzten Höchstgeschwindigkeit von Axialflussmotoren wesentlich unter der für Radialflussmotoren. Durch die Einführung von Mehrganggetrieben kann jedoch die verfügbare Spreizung gesteigert werden, indem die Spreizung des Motors mit den Übersetzungsstufen des Mehrganggetriebes multipliziert wird. Nimmt man die zuvor definierten Zielwerte, zeigt sich, dass die Kombination einer 140 kW-Dauerleistung mit einer Spreizungsanforderung von 8.525 kNm*U/min entweder mit einem Radialflussmotor, gepaart mit einem Einganggetriebe, oder einem Axialflussmotor, gepaart mit einem Zweiganggetriebe, abgedeckt werden kann. Mithilfe eines derartigen Diagramms kann die Notwendigkeit eines Zweiganggetriebes leicht auf Basis der Leistungsanforderung einer neuen Anwendung bestimmt werden.

Konzept für elektrische Antriebseinheit mit einem Zweigang-Doppelkupplungsgetriebe

FEV hat unter Berücksichtigung der beschriebenen Entwicklungstrends verschiedene Zweigang-Konzepte für elektrische Antriebseinheiten (Electric Drive Units, EDUs) umgesetzt.
Als erstes Konzept hat FEV einen Prototypen eines Zweigang-Doppelkupplungsgetriebes gemäß Abbildung 5 mit nur einem Paar fester Getrieberäder pro Teilgetriebe konstruiert und gebaut. Der Prototyp nutzt ausgereifte, serienmäßig produzierte Komponenten und Teilsysteme, einschließlich Elektromotor, Inverter, Doppelkupplungseinheit und Betätigungssystem [3]. Mit diesem Ansatz können die Komplexität und damit die Produktionskosten innerhalb vorgegebener Grenzen gehalten werden. Zudem unterstützt dieser serienmäßige Ansatz eine erhebliche Reduktion des Entwicklungsrisikos und der Markteinführungszeit. Auch für Anwendungen mit geringerem Volumen und konservativeren Einführungsszenarien wird ein Business Case ermöglicht, da kein erheblicher Entwicklungsaufwand für komplexe Teilsysteme erbracht werden muss.

Abb. 5: Elektrische Antriebseinheit mit Zweigang-Lastschaltgetriebe von FEV


Abbildung 5 zeigt ein Foto der elektrischen Antriebseinheit und ein Stick Diagram des Getriebesatzes. In diesem Getriebesatz ist der erste Gang G1 mit dem Antriebsrad auf der Antriebswelle IS1 mit der Kupplung C1 verbunden. Der zweite Gang G2 mit dem Antriebsrad auf der Antriebswelle IS2 ist der Kupplung C2 zugewiesen. Die Abtriebswelle OS trägt beide angetriebenen Getrieberäder, die als Festräder angeordnet sind. Ist eine Parksperre erforderlich, kann ein Rad P für die Parksperre zur Abtriebswelle hinzugefügt werden. Aufgrund der Umsetzung als Getriebe mit Vorgelegewelle können Getriebeübersetzungen aus einer großen Bandbreite ausgewählt werden. Die Erfahrung zeigt, dass auch bei einem elektromotorischen Antriebsstrang im Hinblick auf eine komfortable, „weiche“ Schaltung der Stufensprung den Wert 1,6 nicht übersteigen sollte. Dieser Wert entspricht dem Stufensprung zwischen dem ersten und dem zweiten Gang eines Schaltgetriebes für den konventionellen Antriebsstrang. Der hier gewählte Stufensprung von 1,45 liegt unterhalb dieses Grenzwertes. Das maximale Eingangsdrehmoment der Getriebeeinheit liegt bei 300 Nm und damit geringfügig unter dem theoretischen kurzfristigen Spitzendrehmoment der Elektromaschine. Die drehmomentbegrenzende Komponente dieses Konzeptes ist die trockenlaufende Doppelkupplung, da sie aus einer vorhandenen Großserienproduktion übernommen und nicht speziell angepasst wurde. Die Doppelkupplung gewährleistet außerdem die erforderliche Lastschaltfähigkeit der elektrischen Antriebseinheit. Der Energieeintrag in die Kupplungen ist im Vergleich zu einer Anwendung mit Verbrennungsmotoren kleiner, da sie hauptsächlich als Gangschaltkupplungen verwendet werden und die Schalthäufigkeit geringer ist. Hinsichtlich der thermischen Belastung sind trockenlaufende Kupplungen bei dieser Konstruktion für alle Fahrzeugklassen geeignet. Die Schleppmomente sind im Vergleich zu nasslaufenden Kupplungen erheblich niedriger. Das ist äußerst wichtig, da in einem Konzept mit nur zwei Gängen und ohne Betätigungselemente für die Gangschaltung in den Teilgetrieben kein Gang ausgekuppelt werden kann.

Abb. 6: Spezifikationen der elektrischen Antriebseinheit

Abbildung 6 zeigt die Hauptspezifikationen der elektrischen Antriebseinheit.
Ohne die Möglichkeit einer Gangauskupplung müssen die zulässigen Drehgeschwindigkeiten der Kupplungsscheiben beachtet werden. Außerdem muss die Eingangsdrehzahl auf die Höchstgeschwindigkeit des vorgesehenen Elektromotors abgestimmt werden. Die verfügbaren Doppelkupplungssysteme wurden vornehmlich für Antriebsstränge für Verbrennungsmotoren konzipiert und sind in der Regel nicht für die Eingangsdrehzahlen leistungsdichter, hochdrehender Elektromotoren gedacht. Eine Ausnahme ist der P400-S-Motor des Unternehmens YASA [1], der auf der Axialflusstechnologie basiert und sich sowohl im Hinblick auf Drehzahlbereich als auch Formfaktor perfekt für das ausgewählte trockene Doppelkupplungssystem eignet. Die wichtigsten technischen Daten des Motors sind in Abbildung 7 aufgeführt.

Abb. 7: P400-S-Elektromaschine von YASA [1]

Bei einer Batteriespannung von 400 V liegt die Ausgangsleistung der P400-S-Elektromaschine von YASA bei 90 kW Spitzenleistung und 70 kW Dauerleistung.
Der Inverter gehört zur neuesten Generation des Unternehmens SEVCON [2]. Die Wechselstromschnittstelle wurde geringfügig modifiziert, um eine kurze, direkte (Steck-)Verbindung zwischen dem Inverter und der Elektromaschine zu schaffen und somit separate Phasenkabel zu vermeiden. Der Inverter kann das Hauptsteuergerät des gesamten Antriebssystems sein und kann zudem Fremdcode integrieren und ausführen, zum Beispiel die Schaltsteuerungssoftware eines Zweiganggetriebes. Er kommuniziert über einen lokalen CAN-Bus mit den Betätigungsmotoren, wodurch kein zusätzliches Steuergerät im System erforderlich ist. Abbildung 8 zeigt zusätzliche Informationen zum Inverter.

Abb. 8: Gen5-Size9-Inverter der neuesten Generation von SEVCON [2]

Konzept für elektrische Antriebseinheit mit einem Ravigneaux Planetenradsatz

Abb. 9: Leistungsstarke Zweigang-EDU von FEV

Um auch die Anforderungen von Hochleistungsanwendungen erfüllen zu können, wurde ein zweites lastschaltfähiges Zweigang-Konzept entwickelt [5]. Abbildung 9 zeigt verschiedene Ansichten der Antriebseinheit. Anstelle einer Doppelkupplungsgetriebe-Architektur wird ein Ravigneaux-Planetengetriebesatz (Abbildung 10) zur Bewältigung der höheren Geschwindigkeiten der Elektromaschine und höheren Drehmomentanforderungen verwendet.

Abb. 10: Zweigang-Konzept auf Basis eines Ravigneaux-Radsatzes

In Verbindung mit diesem einfachen, kombinierten Planetengetriebesatz sind zwei Bremsen B1 und B2 zur Umsetzung von zwei Gängen ausreichend. Das kleine Sonnenrad dient als Eingang. Die Leistung wird über das Hohlrad abgegeben. Der Planetenradträger ist durch Bremse B1 fixiert; als Alternative wird das große Sonnenrad durch Bremse B2 fixiert. In diesem Radsatzkonzept können die Differenzdrehzahlen bei offenen Gangschaltungselementen reduziert werden, was wiederum Schleppverluste der Kupplung drastisch verringert. Zusätzlich kann die Wärmekapazität der Bremsen über die Dicke ihrer (stationären) Stahllamellen skaliert werden, ohne dass sich das negativ auf die Trägheitsmomente der rotierenden Masse auswirkt. Im Gegensatz zu Kupplungen wird bei Bremsen die Verwendung von Drehverbindungen oder Einrücklagern zur Betätigung der Gangschaltungselemente vermieden. Bremsen sind daher erheblich günstiger. Die ausschließliche Nutzung von Bremsen war daher ein wichtiges Kriterium bei der Konzeptauswahl. Dank der Kombination von Bremse B1 mit einer Einwegkupplung kann die Bremse selbst wesentlich kleiner konzipiert werden, wodurch die Schleppverluste weiter reduziert werden.
Beide Bremsen werden über einen vorhandenen, aus der Serienproduktion stammenden Zylinder von LuK, der auf Anfrage gefertigt wird, betätigt. Die auch HCA (Hydrostatic Clutch Actuator, hydrostatischer Kupplungsaktuator [4]) genannte Einheit arbeitet mit einem bürstenlosen Elektromotor für jedes Gangschaltungselement, das einen hydraulischen Hauptkolben über eine Spindel betätigt. Aufgrund der leckagefreien Dichtungen ist dieses System äußerst effizient. Dank der guten Axialzugänglichkeit der Bremsen können alternativ elektromechanische Betätigungskonzepte verwendet werden.
Der Elektromotor und der Inverter bilden eine kompakte Einheit und sind mit dem Getriebe verschraubt. Beide Teilsysteme – Inverter und Elektromotor – sind in ihrer Serienentwicklung bereits weit fortgeschritten und ermöglichen eine kurze Entwicklungszeit für die ganze Antriebseinheit und infolgedessen eine schnelle Markteinführung. Eine Ölkühlung ist aufgrund der besonderen Konzeption des Elektromotors als Axialflussmotor erforderlich. Der Motor, der Inverter und das Getriebeteil verwenden ein gemeinsames Ölsystem mit einer speziellen EDU-Flüssigkeit. Eine elektrische Ölpumpe saugt Öl aus dem Getriebesumpf und leitet es über einen Öl-Wasser-Wärmetauscher zum Inverter. Von dort fließt das Öl durch den Elektromotor und anschließend zurück zum Getriebe, wo der Volumenstrom geteilt wird. Ein Teil wird in die Hauptwelle des Getrieberadsatzes eingespeist, von wo aus es nicht nur den Radsatz schmiert, sondern auch bei Bedarf die Bremsen kühlt. Der Rest des Öls läuft nicht in den Sumpf ab, sondern wird in einem Lagerbehälter im Getriebe aufbewahrt. Von dort aus werden weitere Komponenten über verschiedene Kanäle geschmiert, darunter die Zahnradeingriffe und die Lager der Zwischenwelle. Dank einer intelligenten Steuerstrategie für die Ölpumpe lässt sich der Füllstand des Lagerbehälters und damit auch der Ölstand im Getriebe verändern, was wesentlich zu einer Reduktion der Planschverluste und damit zu einer Effizienzsteigerung beiträgt.

Getriebefamilie und -Baukasten

Die Einführung einer Getriebefamilie für batterieelektrische Fahrzeuge macht auch aus wirtschaftlichen und zahlreichen anderen praktischen Gründen Sinn. Derartige Familien mit zwei bis drei Getrieben kommen bereits in den Antriebssträngen konventioneller, quer eingebauter Verbrennungsmotoren zum Einsatz und decken den erforderlichen Drehmomentbereich bis zu 600 Nm Eingangsdrehmoment ab. Allerdings enthalten diese Getriebe manchmal unterschiedliche Basistechnologien, da sich die Merkmale einiger Technologien nicht für alle Fahrzeugklassen eignen.
So eignen sich trockenlaufende Kupplungen als Anfahrelement in automatischen Getrieben auf Grund ihrer geringeren thermischen Belastbarkeit eher für leichtere Fahrzeuge, während nasslaufende Kupplungen eher für schwere Fahrzeuge zur Anwendung verwendet werden.

Abb. 11: Innenansichten des Zweigang-Lastschaltgetriebes

FEV schlägt eine Getriebefamilie oder einen Baukasten mit wenigen unterschiedlichen Komponenten vor, die verschiedene Varianten abdecken und sich durch die Gangzahl, die Implementierung der Parksperre sowie die Lastschaltfähigkeit auszeichnen.
Das erste Getriebekonzept mit Lastschaltfähigkeit und einer Neutralfunktion deckt in Verbindung mit den P400-Elektromotor von YASA und der Höchstgeschwindigkeit von 8.000 U/min mit der geringeren Geschwindigkeit des Elektromotors und Drehmomenten bis 300 Nm die Anforderungen von Antriebssträngen ab. Aufgrund der Berstdrehzahlen der trockenlaufenden Kupplungsscheiben eignet sich das Getriebe jedoch nicht für Elektromotoren mit höheren Drehzahlen. Darüber hinaus wünschen sich Nutzer eine Lösung für höhere Drehmomente über 300 Nm. Aus diesen beiden Gründen, Drehzahlfestigkeit sowie Drehmomentkapazität, hat FEV sich entschieden, für den neuen Getriebebaukasten ein zweites 2-Gang-Konzept zu erarbeiten.
Dieser Bausatz umfasst insgesamt vier Derivaten: zwei Drehmomentklassen mit maximalem Elektromotordrehmoment von 300 Nm und 600 Nm mit jeweils einem oder zwei Gängen. Die Zweigangvarianten basieren auf dem beschriebenen EDU-Konzept mit einem Ravigneaux-Getriebesatz. Durch die Vereinfachung dieses Designs werden die beiden Varianten mit nur einem Gang mit einem Hauptfokus auf niedrige Kosten umgesetzt. Beispielsweise wird keine Neutralfunktion zum Segeln implementiert. Abbildung 12 beschreibt die Struktur des Bausatzes.

Abb. 12: Konzept eines Getriebe-Baukastens

Bei Bedarf wird die Parksperre unabhängig von der Drehmomentklasse im Getriebe realisiert. Sie wird für alle Anwendungen kostengünstig und identisch mit einem großen Sperrenrad umgesetzt. Die Parksperre wird als ein „Park by Wire System“ elektromechanisch betätigt, was immer mehr zum Standard wird und im Vergleich zum rein mechanischen System eine größere Flexibilität beim Design der Mensch-Maschine-Schnittstelle ermöglicht.
Dank der kompakten, aus Elektromotor und Inverter bestehenden Einheit sowie der eigens darauf zugeschnittenen Getriebearchitektur können elektrische Antriebseinheiten mit einer hohen Leistungsdichte mit dem vorgestellten Baukasten umgesetzt werden. Eine herausragende Dauerleistung von 0,6 kg/kW für die leistungsstärksten Zweigangvarianten wird erreicht. Die Eingangvarianten mit ihrer einfacheren Struktur sind sogar noch besser. Zugleich ermöglicht die Verwendung bewährter Standardkomponenten, insbesondere in den Betätigungs- und Kühlbereichen, kurze Entwicklungszeiten.

Ausblick und Zusammenfassung

Rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge erfordern im Vergleich zu Antriebssträngen mit Verbrennungsmotoren einfachere Getriebe. Die Produktkomplexität nimmt ab. Die Anforderungen für einzelne Attribute wie Getriebeakustik und hohe Eingangsdrehzahlen nehmen erkennbar zu.
Einganggetriebe reichen für die meisten Elektrofahrzeuge aus. Die Investition in ein Zweiganggetriebe wird nur durch den Bedarf an einem besonders hohen Anfahrdrehmoment oder einer höheren Höchstgeschwindigkeit gerechtfertigt. Dreiganggetriebe werden aus heutiger Sicht Nischenanwendungen, beispielsweise für Sportwagen, sein.
Ein Zweiganggetriebe muss lastschaltfähig sein, da Kunden Zugkraftunterbrechungen beim Schalten zwischen den Gängen in elektrisch angetriebenen Fahrzeugen nicht akzeptieren. Bei der Investition in ein Zweiganggetriebe muss die Neutralfunktion, bei der der Elektromotor von den Rädern abgekoppelt wird, von Anfang an eingeplant werden. Der in diesem Artikel vorgestellte Vorschlag erfüllt beide Anforderungen.
FEV kann verfügbare, ausgereifte Komponenten wie Elektromaschine, Inverter und Doppelkupplung mit einem neu entwickelten Zweiganggetriebe kombinieren, die zusammen eine für verschiedene Fahrzeugtypen geeignete elektrische Antriebseinheit bilden. Diese kann leicht in sowohl bestehende als auch neue Fahrzeugplattformen integriert werden und ermöglicht Herstellern so den schnellen Zugang zum Markt reiner Elektrofahrzeuge. Im Vergleich zu Einganggetrieben ist diese Lösung sowohl in Bezug auf Leistung als auch auf Systemeffizienz überlegen. Das Konzept bildet mit dem elektrischen P400-S-Axialflussmotor von YASA [1] und dem Inverter von SEVCON [2] eine sehr kurze und kompakte Antriebseinheit.
Mit den vorgeschlagenen Konzepten können vier Derivate realisiert werden, die für das Volumensegment der Fahrzeuge mit quer eingebautem Antriebsstrang geeignet sind: ein Einganggetriebe bis zu 300 Nm, ein Einganggetriebe bis zu 600 Nm, ein Zweiganggetriebe bis zu 300 Nm und ein Zweiganggetriebe bis zu 600 Nm.
Sie eignen sich auch für ERAD-Systeme (Electric Rear Axle Drive, elektrischer Hinterachsantrieb) für P4-Hybridfahrzeuge. So kann das Volumen pro Derivat weiter erhöht werden.
Falls ein Parksperren-System in das Getriebe integriert wird, muss es sich für „Park by Wire“ Systeme eignen. Die Umsetzung der Parksperre erfolgt unabhängig von verschiedenen fahrzeugspezifischen Drehmomenten oder Leistungen. Es reicht eine einheitliche Konstruktion für alle vier Derivate aus.

REFERENZEN:
[1] Produktinformationen der YASA-P400-Serie,
YASA Motors Limited, Abington, UK
[2] Produktinformationen des Gen4-Size10-Wechselstrom-Motorreglers von SEVCON,
Tyne and Wear, UK
[3] G. Hellenbroich, P. Janssen, H.-P. Lahey, I. Steinberg,
Integrated Electric Drive Units including up-to 2 Speeds, Aachener Kolloquium, China, Beijing, 2017
[4] 10. Schaeffler Kolloquium 2014,
Solving the Powertrain Puzzle, Transmission Actuators
[5] I. Steinberg, G. Hellenbroich, J. Nowack,
Efficient transmission kit for battery electric vehicles – Trends and solutions; Internationales Wiener Motorsymposium, Wien, 2018

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