
Vernetzte und automatisierte Fahrzeuge
Neue Freiheitsgrade für die Verbesserung von Antriebssträngen
In den nächsten zehn bis 15 Jahren werden neben klassischen heutigen Fahrzeugen auch hochautomatisierte und vollvernetzte Fahrzeugkonzepte auf den Markt kommen. Im vollautomatisierten Stadium (SAE Level 5) ist der Fahrer – oder genauer gesagt der Fahrzeugnutzer – nicht mehr Teil des Regelkreises. Diese neue Mobilitätserfahrung geht mit veränderten Nutzererwartungen und Kaufkriterien einher. Um diesem Trend gerecht zu werden, haben Fahrzeughersteller die Möglichkeit, ein neues Mobilitäts- und Antriebsstrang-Portfolio zu entwerfen, das entlang der neuen Mobilitätsszenarien (z.B. Shared Mobility in Städten) organisiert ist. Hierdurch können nicht nur neue Fahrzeugkonzepte, ein frisches Markenimage und aufregende User Journeys entstehen, sondern auch Antriebsstränge hinsichtlich Kosten und Kraftstoffverbrauch optimiert werden. Bereits seit Jahren bieten FEV und FEV Consulting ihren Kunden Markt- und Technologiestudien und maßgeschneiderte Entwicklungen auf diesem Gebiet. In einer Feldstudie wurden daher zukünftige Nutzungsmuster analysiert und Optimierungen des Antriebsstranges hinsichtlich Kosten und Kraftstoffverbrauch entwickelt.
>> AUF DEM WEG ZUM AUTOMATISIERTEN FAHREN MÜSSEN VIELFÄLTIGE HERAUSFORDERUNGEN GELÖST WERDEN, DARUNTER ZUVERLÄSSIGE UMFELDMODELLE UND DEREN VERSTÄNDNIS, SENSORIK- UND VALIDIERUNGSKOSTEN, ÄNDERNDE VERHALTENSMUSTER UND SICHERHEIT
Prognostizierte neue Mobilitätskonzepte
Basierend auf der Automatisierungs- und Vernetzungstechnologie werden in den nächsten zehn bis 15 Jahren neue Mobilitätskonzepte und Nutzungsmuster den Markt erobern. Angebote zum fahrerlosen Transport verfügen in europäischen Städten über gute Marktaussichten, wobei sich das heutige „Car-to-Go“-Konzept zum automatisierten „Car-to-Come“-Ansatz mit garantiertem Tür-zu-Tür-Transport verändern wird.
Für den emissionsfreien automatisierten Einpersonentransport innerhalb der Stadt wird ein weiterentwickelter „City-Pod“ auf den Markt kommen, der über einen elektrischen Antriebsstrang – ggf. mit einem Range-Extender – verfügt. Für Fahrten in andere Städte könnten die City-Pods oder Collectivos (Mehrpersonentransport) Fahrgäste zu einem sogenannten „Vehicle-Hub“ transportieren, wo Fahrgäste oder gar der gesamte Fahrgastraum in einem „Autobahn-Pod“ oder einem „LPDC“ (Long Distance People Carrier – Mehrpersonentransporter für Langstrecken) transferiert werden. Diese automatisierten, speziellen Fahrzeuge für Langstrecken verfügen über ein optimiertes Fahrzeug- und Antriebsstrang-Design. Hierfür eigenen sich aufgrund der vorhandenen Arbeitszyklen besonders Micro- oder Mild-Hybrid-Dieselfahrzeuge.
Für die weiterhin existierenden Privatfahrzeuge werden sowohl kurze innerstädtische Strecken mit minimalen Emissionen als auch Langstrecken außerhalb der Stadt abzudecken sein. In diesem Zusammenhang wird ein Benzin-PHEV-Konzept für Allrounder-Fahrzeuge vorgeschlagen.
Veränderte Nutzererwartungen für individuelle Transportbedürfnisse
Abhängig vom Mobilitätsszenario, einschließlich Fahrstrecke und Anzahl der Fahrgäste, haben FEV und FEV Consulting fünf verschiedene Transportkonzepte entwickelt. Hierbei handelt es sich um fünf entsprechende Fahrzeugkonzepte – von innerstädtischen Fahrzeugen für eine Person bis zu Langstreckentransport mit mehreren Fahrgästen.
Im Rahmen einer Nutzerumfrage wurden zukünftige Nutzererwartungen durch einen modifizierten QFD-Ansatz (Quality Function Deployment – Qualitätsfunktionendarstellung) analysiert.
Diese veränderten Anforderungen wurden dann in zukünftige Antriebsstrangspezifikationen umgewandelt und auf Kostenreduktion und Energieverbrauch hin optimiert. Als Ergebnis entstehen so konkrete Auswirkungen bezüglich Kosten und CO2-Emissionen.
Im Zentrum des Ansatzes steht ein integriertes Tool, welches den modifizierten QFD-Prozess und eine Beziehungsmatrix zur Sicherstellung der richtigen Gewichtung der Fahrzeug- und Antriebsstrangmerkmale umfasst. Die Umsetzung in detaillierte Spezifikationsänderungen wurde durch Expertenschätzungen unterstützt und validiert.
Die Nutzererwartung hängt vom Mobilitätsszenario ab
Anhand von 20 vordefinierten Merkmalen gaben die Teilnehmer der Umfrage Einschätzungen zur Relevanz von Fahrzeugleistungen sowie zu Kaufkriterien ab. Die Nutzerumfrage zeigt, dass sich die Anforderungen an automatisierte und stark vernetzte Fahrzeuge wandeln – besonders bei der Antriebsstrangleistung und im Fahrverhalten. Dies hat Auswirkungen auf die geforderte Motorleistung sowie die Beschleunigung (0 auf 100 km/h, notwendige Reserven, Wiederholbarkeit etc.). Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass im Zusammenhang mit automatisierten und vernetzten Fahrzeugen die Fahrzeugleistung und das Fahrverhalten ihre dominante Position bei Kaufentscheidungen einbüßen werden. Es gibt jedoch beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mobilitätskonzepten.
Stärkerer Fokus auf Komfort, NVH und Akustik
Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Aspekte im Zusammenhang mit Komfort gewinnen stark an Bedeutung. So wurden alle sieben vordefinierten Anforderungen als wichtige Kaufkriterien für zukünftige Fahrzeugkonzepte eingestuft, wobei die Anforderungen an Infotainment, thermischen Komfort, Fahrzeuginnenraum und Ergonomie besonders steigen.
Die Umfrage hat ebenfalls gezeigt, dass automatisierte Stadtfahrzeuge spezielle Eigenschaften aufweisen müssen. Hierzu gehören hohe Anfahrqualität, höhere Wirtschaftlichkeit und geringere Leistung verglichen mit Fahrzeugen, die für die Autobahn bestimmt sind.
Von der Nutzerumfrage zu szenariobasierter Antriebsstrangoptimierung und -spezifikation
Der nächste Schritt in der Untersuchung war die modifizierte Qualitätsfunktionendarstellung (QFD), welche die möglichen Optimierungsmaßnahmen auf Basis der Nutzerumfrage bestimmt. Jedes automatisierte Fahrzeug wurde nun genau spezifiziert und quantifiziert. Beim City-Pod steigen die Möglichkeiten zur Kostenreduzierung durch die sinkenden Nutzeranforderungen an Fahrzeugleistung und -beschleunigung. Hier sind Verringerungen von Nennleistung, und -drehmoment, Drehmoment im unteren Drehzahlbereich und Dynamik denkbar.
Gleichzeitig steigen die Anforderungen an die Qualität des Gangwechsels. Zur Bereitstellung einer komfortablen Arbeits- und Gesprächsumgebung sollte daher die Zugkraftunterbrechung im Getriebe minimiert werden. Bei City-Pods sind Arbeits- und Unterhaltungsmöglichkeiten während der Fahrt sowie eine ruhige und reibungslose Mobilitätserfahrung wesentliche Nutzererwartungen, weshalb besondere Maßnahmen mit Bezug auf NVH (Geräusch, Vibration, Rauheit) notwendig sind.
Eine wesentliche Erkenntnis ist zudem die Möglichkeit, die Lebensdauer und Belastung von Bauteilen mittels Verkehrs- und Streckenprognosen zu optimieren. Für Autobahn-Pods zeigt die Analyse Sparpotenzial, da Nennleistung, Drehmoment im unteren Drehzahlbereich und Dynamik reduziert werden können. Gegenüber City-Pods können Drehmoment und Dynamik sogar noch weiter reduziert werden, da die szenariospezifischen Nutzeranforderungen einen defensiven Fahrstil beschreiben. Dies bringt weitere Kostenvorteile mit sich, fordert jedoch gleichzeitig hervorragende NVH-Eigenschaften bei der Fahrt. Dieses Layout schafft eine Arbeitsumgebung im Autobahn-Pod, in der die Nutzer arbeiten oder Telefonkonferenzen abhalten können. Dieses Umfeld ist vergleichbar mit einer heutigen Zugfahrt, bietet aber den Vorteil ungestörter Privatsphäre und Vertraulichkeit.
Sowohl für City-Pods als auch für Autobahn-Pods haben die Testergebnisse gezeigt, dass geräumige Fahrzeugkonzepte, häufig als „Third Living Space“ bezeichnet, auf dem Markt großen Anklang finden. Laut Berechnungen können die analysierten, individuell angepassten Antriebsstrang-Layouts mit geringeren Hardware-Kosten und Blick auf einen reduzierten Kraftstoffverbrauch entwickelt werden und gleichzeitig immer noch die Benutzeranforderungen erfüllen.
Roadmap zur Mobilität der Zukunft
Die vorgestellte FEV Consulting-Studie unterstreicht das beträchtliche Optimierungspotenzial für die Antriebe voll automatisierter Fahrzeuge mit Blick auf Kosten und Kraftstoffverbrauch. Spezifische Einsparungen bei diesen Parametern hängen zum Großteil vom erwarteten Mobilitätsszenario des Einzelnen, den Spezifikationen des Basisfahrzeugs, dem Einschränkungsgrad und der Betriebsstrategie ab.
Es ist zu erwarten, dass veränderte Nutzererwartungen sich wesentlich auf zukünftige OEM-Portfoliostrategien und die Antriebsstrangentwicklung auswirken werden. Dies könnte zu einer Reduzierung der Varianten, zu Downsizing und einer Veränderung des Entwicklungsschwerpunkts führen. Ferner sollte die Frage gestellt werden, ob die heutigen eindimensionalen Fahrzeugsegmentierungen und Portfoliostrukturen (A, B, C usw.) auch für die entstehenden automatisierten und vernetzten Mobilitätsmuster zielführend sind. Die im Rahmen der Studie erarbeitete zweidimensionale Mobilitätsmatrix könnte eine bessere Alternative darstellen.
Obwohl die Ergebnisse ggf. eine Abwertung des Antriebsstrangs als wesentliches Kaufkriterium nahelegen, sieht FEV darin eine beträchtliche Möglichkeit für OEMs: Durch die Organisation des Fahrzeugangebots nach Mobilitätsszenarien ist eine neue Marktdifferenzierung mit spezialisierten Antriebsstrang- und Fahrzeugkonzepten möglich. Hinter dem Image steckt eine einzigartige und aufregende User Journey entlang des gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs. Sie umfasst eine äußerst wettbewerbsfähige Kostenstruktur, optimierte Kraftstoffverbrauchswerte, einen komfortablen und geräumigen Fahrgastraum und durchdacht konstruierte Apps und Interfaces – alles auf Grundlage einer automatisierten und vernetzten Plattform.
