
Reichweitenzuwachs: Clevere Klimatisierung für E-Fahrzeuge
Thermomanagement
Um die Attraktivität und Akzeptanz der Elektromobilität weiter zu erhöhen, dürfen weder der Komfort noch die Reichweite des Fahrzeugs unter extremen Umgebungstemperaturen leiden. Ein optimiertes Thermomanagement trägt dazu bei, den Komfortanforderungen des Kunden gerecht zu werden und gleichzeitig den Energiebedarf zu senken. [1] In diesem Artikel werden die Struktur sowie die Validierung eines neu entwickelten Gesamtfahrzeug-Modells erläutert. Anhand des Modells werden Maßnahmen zur Reduzierung des Energiebedarfs in Bezug auf die Kabinentemperierung untersucht, abschließend folgen die Darstellung der Ergebnisse sowie Erkenntnisse hinsichtlich der aufgezeigten Energieeinsparpotenziale.
Das erstellte Gesamtfahrzeug-Simulationsmodell (GFSM)besteht aus mehreren modularen Bausteinen (Abb. 1). Jedes dieser Objekte repräsentiert ein Subsystem des Elektrofahrzeugs. Mit dem aufgebauten Gesamtfahrzeug-Simulationsmodell ist es möglich, instationäre Zustände last-, zeit- und temperaturabhängig wiederzugeben und unterschiedliche Fahrprofile sowie Umgebungsbedingungen nachzubilden. Somit lassen sich verschiedenste Thermomanagement-Maßnahmen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Systemeffizienz bewerten [2, 3]. Zur Validierung des Simulationsmodells wurden sowohl auf Komponenten- als auch auf Systemebene Messungen durchgeführt.

Energieauswirkung verschiedener Thermalmaßnahmen
Mit dem erstellten Simulationsmodell werden im Folgenden verschiedene Kabinenmaßnahmen hinsichtlich ihres Energieeinsparpotenzials untersucht. Alle Simulationen werden im WLTP-Fahrzyklus über 30 Minuten in einem Umgebungstemperaturbereich von -20 bis +20 °C durchgeführt. Dabei wird die Kabine bis zu einer gemittelten Innenraumtemperatur von 20 °C aufgeheizt und der Gesamtenergiebedarf ermittelt. Neben der Energieersparnis für eine bestimmte Umgebungstemperatur wird auch die Ersparnis im Jahresmittel bestimmt. Dafür wird auf statistische Klimadaten für Europa zurückgegriffen [4]. Die Ergebnisse, die im Folgenden mit „Referenz“ bezeichnet werden, zeigen den Energiebedarf des E-Fahrzeugs beim Aufheizen der Kabine bei ausschließlicher Verwendung eines PTC-Luftheizers. Dabei hat das Fahrzeug einen Energiebedarf von 31,4 kWh/100 km bei einer Umgebungstemperatur von -20 °C. Diese Ergebnisse werden auch als Bezugspunkt für die Berechnung der Energieersparnisse herangezogen. Zusätzlich dazu ist in den Diagrammen auch der Energiebedarf des Fahrzeugs ohne ein Heizen der Kabine dargestellt. Dieser beträgt bei einer Umgebungstemperatur von -20 °C 22,2 kWh/100 km und liegt damit deutlich unter dem des beheizten Fahrzeugs (Abb. 2).

>> IM GEGENSATZ ZUM FRISCHLUFTBETRIEB KANN IM UMLUFTBETRIEB EIN GROßER ANTEIL DER BENÖTIGTEN HEIZENERGIE EINGESPART WERDEN
Ein vielversprechender Ansatz zur Einsparung von Heizenergie ist die Reduzierung der Frischluftrate bei der Klimatisierung der Fahrzeugkabine. Im Gegensatz zum Frischluftbetrieb kann im Umluftbetrieb ein großer Anteil der benötigten Heizenergie eingespart werden. Bei einer Umgebungstemperatur von -20 °C reduziert sich dementsprechend der Gesamtenergieverbrauch von 31,4 kWh/100 km auf 27,9 kWh/100 km, was einer Ersparnis von 11,1 Prozent entspricht (Abb. 2). Über das Jahr gemittelt ergibt sich eine Einsparung von 3,1 Prozent. Als weitere Maßnahme zur Reduzierung des Heizenergiebedarfs im Winterbetrieb werden Flächenheizelemente betrachtet (Abb. 3).

Durch Einsatz der Flächenheizelemente kann bei vergleichbarer Behaglichkeit der Insassen die Lufttemperatur im Innenraum gesenkt werden. Für die entsprechenden Komfortuntersuchungen wurden im Versuchsfahrzeug sechs elektrische Heizflächen im Fußraum des Fahrers und Beifahrers installiert (drei je Seite). In der Simulation konnten die Ergebnisse der zuvor durchgeführten Messungen bestätigt werden. Der Energiebedarf bei -20 °C kann durch die Verwendung von Flächenheizelementen von 31,4 kWh/100 km auf 30,1 kWh/100 km reduziert werden. Dies entspricht einer Verbesserung von 4,1 Prozent (Abb. 2). Im Jahresmittel sind so Energieeinsparpotenziale von 3,8 Prozent realisierbar. Die positive Wirkung auf den Energiebedarf nimmt auch bei höheren Umgebungstemperaturen nicht ab. Die erzeugte Heizleistung reicht aus, um ab einer Umgebungstemperatur von 10 °C oder höher die Kabine komplett ohne den PTC-Luftheizer zu erwärmen, ohne den Komfort für die Insassen zu verringern. Um den Bedarf an Heizenergie noch weiter zu senken, wird als zusätzliche Maßnahme eine gezielte Temperierung des Fahrers gewählt. Der Gesamtenergiebedarf lässt sich bei -20 °C durch diese Maßnahme von 31,4 kWh/100 km auf 30,8 kWh/100 km beziehungsweise um 1,9 Prozent reduzieren (Abb. 2). Über das ganze Jahr gemittelt ergibt sich eine Einsparung von 0,5 Prozent. Mittels Integration einer Wärmepumpe in das Fahrzeug lässt sich der Energiebedarf zusätzlich senken. Durch die Wärmepumpe kann Wärme auf einem niedrigen Temperaturniveau aufgenommen und auf einem höheren Temperaturniveau abgegeben werden. Die abgegebene Wärmemenge ist dabei um ein Vielfaches größer als die aufgewendete Arbeit [5]. Mit dem Simulationsmodell wurde die Umgebungsluft als Wärmequelle untersucht. Für niedrige Temperaturen zeigt sich eine deutliche Energieersparnis. Für eine Umgebungstemperatur von -10 °C kann der Energiebedarf von 27,5 kWh/100 km auf 23,7 kWh/100 km beziehungsweise um 13,8 Prozent reduziert werden (Abb. 2). Für steigende Umgebungstemperaturen reduziert sich das Energieeinsparpotenzial. Die erzeugte Wärmeleistung bei -20 °C Umgebungstemperatur reicht aufgrund des integrierten Kompressors nicht aus, um die Kabine auf 20 °C zu heizen. Aus diesem Grund ist in Abb. 2 lediglich der Energiebedarf bei Umgebungstemperaturen von -10 °C bis +20 °C dargestellt.
>> DURCH EINSATZ VON FLÄCHENHEIZELEMENTEN KANN BEI VERGLEICHBARER BEHAGLICHKEIT DER INSASSEN DIE LUFTTEMPERATUR IM INNENRAUM GESENKT WERDEN

Zusätzlich wurden auch Kombinationen der Einzelmaßnahmen betrachtet (Abb. 4). Durch die Kombination der Einzelmaßnahmen kann das Energieeinsparpotenzial noch weiter gesteigert werden. Ausgangspunkt für den Vergleich der verschiedenen Kombinationen ist der Energieverbrauch bei reinem Umluftbetrieb. Kombination 1 beschreibt die Erweiterung des Umluftbetriebs mit der Verwendung von Flächenheizelementen. Durch das Zusammenspiel reduziert sich der Energiebedarf von 31,4 kWh/100 km auf 27,1 kWh/100 km bei einer Umgebungstemperatur von -20 °C – eine Einsparung von 13,7 Prozent. Über das Jahr gemittelt kann der Energieverbrauch um 5,6 Prozent reduziert werden. Wird das System zusätzlich um eine gezielte Temperierung des Fahrers (Kombination 2) erweitert, können bei einer Umgebungstemperatur von -20 °C zusätzlich 2,3 Prozent der Energie eingespart werden. Es ergibt sich ein Energiebedarf von 26,4 kWh/100 km und somit eine Ersparnis von 15,9 Prozent. Es ist zu erkennen, dass sich bei der gezielten Temperierung des Fahrers Synergieeffekte mit anderen Einzelmaßnahmen ergeben. Über das ganze Jahr können so 6,4 Prozent der benötigten Energie eingespart werden. Abschließend wird Kombination 3, eine Erweiterung der Kombination 2 um einen Wärmepumpenbetrieb, betrachtet. Die Ergebnisse der Simulation zeigen, dass bei einer Umgebungstemperatur von -20 °C im Vergleich zum Referenzbetrieb insgesamt 22,9 Prozent der Energie eingespart werden können. Der Energiebedarf hat sich von 31,4 kWh/100 km auf 24,2 kWh/100 km reduziert. Über den Jahresverlauf gemittelt ergibt sich somit eine Energieersparnis von 7,2 Prozent. Mit Kombination 3 liegt der Energiebedarf nur um 9,0 Prozent über dem des Fahrzeugs ohne aktivierte Kabinenheizung. Ohne jegliche Maßnahmen war der Energieverbrauch mit Kabinenheizung noch um 41,4 Prozent höher als ohne (Abb. 4).
>> BEI EINER UMGEBUNGSTEMPERATUR VON -20 °C KÖNNEN IM VERGLEICH ZUM REFERENZBETRIEB 22,9 % DER ENERGIE EINGESPART WERDEN
Positiver Effekt für Elektrofahrzeuge
In diesem Artikel wurden anhand eines validierten Gesamtfahrzeug-Simulationsmodells verschiedene Maßnahmen für die Kabinenklimatisierung vorgestellt, mit denen sich der Energiebedarf des Elektrofahrzeugs bei niedrigen Umgebungstemperaturen reduzieren lässt. Durch die Kombination der Einzelmaßnahmen lässt sich das aufgezeigte Energieeinsparpotenzial nochmals vergrößern. Über das gesamte Jahr können mit den gezeigten Maßnahmen 7,2 Prozent der Gesamtenergie eingespart werden. Die so gesparte Energie kann zu einer Steigerung der Reichweite genutzt werden und somit direkt zu einer Verbesserung der Akzeptanz von Elektrofahrzeugen beitragen. Durch intelligente Betriebsstrategien der Einzelkomponenten des Thermomanagement-Systems könnte sich ein deutlich höheres Einsparpotenzial ergeben. Diese Betriebsstrategien sowie der Einsatz der Wärmepumpe als Kältemaschine bei hohen Umgebungstemperaturen werden daher Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein.
LITERATURHINWEISE
[1] Prokop, G.; Lewerenz, P.: Thermomanagement-Lösungen für neue und alte Herausforderungen. In: ATZ 113 (2011), Nr. 11, S. 812-817
[2] Haupt, C.: Ein multiphysikalisches Simulationsmodell zur Bewertung von Antriebs- und Wärmemanagementkonzepten im Kraftfahrzeug. München, Dissertation, 2012
[3] Lund, C.; Maister, W.; Lange, C.; Beyer, B.: Innovation durch Co-Simulation, Wärmemanagement des Kraftfahrzeugs VI. Berlin: Expert-Verlag, 2008
[4] Strupp, N. C.; Lemke, N.: Klimatische Daten und Pkw-Nutzung: Klimadaten und Nutzungsverhalten zu Auslegung, Versuch und Simulation an Kraftfahrzeug-Kälte-/Heizanlagen in Europa, USA, China und Indien. Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V., FAT-Schriftenreihe 224, 2009
[5] Lucas, K.: Thermodynamik: Die Grundgesetze der Energie- und Stoffumwandlungen. 5. korrigierte und erweiterte Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2006
